Hex Hall 02 - Hawkins, R: Hex Hall 02
hatte ich den Eindruck, dass die beiden noch mehr tranken als sonst. Und wenn sie mit mir und Dad am Dämonenyoga teilnahmen, lief es immer darauf hinaus, dass sie die Übungen vorzeitig abbrachen. Nach einer der Unterrichtsstunden hatte Dad ihnen eine Ausgabe der Dämonologien mitgegeben . Später entdeckte ich das Buch in einer großen Messingurne.
Ein paar Tage, bevor Vix wieder abreisen musste, fuhr Lara mit Jenna, Cal, Vix und mir nach London, so dass ich endlich Gelegenheit bekam, all die Touristenattraktionen dort abzuklappern. Wir mussten natürlich den Wagen nehmen, weil Dad einen Riegel vor weitere Itinerisreisen geschoben hatte. Als wir den Tower von London besichtigten, gab Lara jedem von uns eine dieser kleinen Broschüren, aus denen wir die Geschichte der Prodigien in Bezug auf den Tower entnehmen konnten. Darin standen Informationen, wie zum Beispiel die, dass Anna Boleyn in Wirklichkeit eine dunkle Hexe gewesen war (das weiß doch jeder) und dass einer von Königin Victorias Enkelsöhnen im White Tower gefangen gehalten wurde, nachdem er sich in einen Vampir verwandelt hatte.
Es war ein vergnüglicher Tag, glaube ich. Also, ich meine, wir hatten immerhin Fish & Chips und eine lustige Fahrt in einem dieser Doppeldeckerbusse. Doch die Stunden in London machten mir erst bewusst, wie sehr ich mich daran gewöhnt hatte, nur von Prodigien umgeben zu sein. Hex Hall war natürlich sowieso von allem extrem abgeschnitten gewesen, aber das Gleiche galt auch für Thorne. Also war ich schon seit fast einem Jahr nicht mehr unter so vielen Menschen gewesen, und es überraschte mich jetzt schon etwas, wie nervös mich das machte. Ich wartete nur darauf, dass irgendjemand unsere komischen Broschüren bemerkte oder Vix’ und Jennas Blutsteine, und dann daraus schlussfolgern konnte, was wir wirklich waren. Diese ständige Anspannung machte mir ein wenig zu schaffen, und ich fragte mich, ob andere Prodigien womöglich ständig damit zu kämpfen hatten. Als unser Wagen dann am späteren Abend in die Auffahrt von Thorne einbog, stieß ich einen Seufzer der Erleichterung aus.
Unser nächster Ausflug nach London fand zwei Tage vor meinem Geburtstag statt. Zum einen wollten wir Vix zum Flughafen bringen, und zum anderen hatten Jenna, Nick, Daisy und ich einen Termin bei Lysander’s, einer superangesagten Nobelboutique in der Innenstadt. Lysander war zwar ein Elf, aber er hatte seinen Laden mit einem Glamourzauber belegt, so dass reiche menschliche Frauen dort einkaufen konnten, ohne etwas zu bemerken. Doch an diesem Tag hatte er sein Geschäft nur für uns geöffnet.
»Das Kostüm ist ja klasse«, sagte ich zu Lysander, »aber eine Krone? Sicher?«
Er funkelte mich an und schlug mit seinen schwarzen Flügeln. Obwohl ich mich erst seit dreißig Minuten in seinem Laden aufhielt, war ich mir doch ziemlich sicher, dass der Typ mich bereits hasste. »Mir wurde ausgerichtet, dass Sie sich als Göttin der Hexerei kostümieren sollen, und Hekate trägt nun mal eine Krone.«
»Es ist ja keine richtige Krone, Soph«, meinte Jenna, die auf einem weißen Satinsofa thronte. »Es ist eher eine Art Diadem.« Schwermütig hatte sie ihr Kinn auf eine Hand gestützt, und direkt über ihrem Kopf schwebte sozusagen eine kleine, schwarze Regenwolke. Wir hatten Vix gerade erst zum Flughafen gebracht, und deswegen hing bei Jenna jetzt alles ziemlich auf Halbmast. Nick und Daisy, die Jenna in ihre Mitte genommen hatten, waren mit ihrer Kostümprobe bereits fertig. Nick würde ein ärmelloses Wams mit einem weißen Mittelalterhemd und einer schwarzen Stoffhose tragen und Daisy ein schlichtes Etuikleid aus purpurner Seide. Obwohl die beiden in ihren Kostümen einfach großartig aussahen, hatte ich keinen blassen Schimmer, wen sie eigentlich darstellen sollten.
»Lysander hat recht«, machte Lara sich bemerkbar. Sie saß in einem Sessel an der Seite und hielt ihre Beine sittsam an den Knöcheln überkreuzt. »Die Krone ist ein wesentlicher Teil des Kostüms. Und außerdem sieht sie einfach zauberhaft aus.«
Also drehte ich mich auf dem kleinen Podest noch einmal zurück und musterte mich in dem dreiteiligen Spiegel. Es war Laras Idee gewesen, meiner Geburtstagsparty das Motto Kostümzwang zu geben. Zuerst hatte ich angenommen, dass es darum ging, eine schwarze Krawatte oder ein Kostümkleid zu tragen – so in etwa wie bei dem Halloween-Ball in Hex Hall. Doch in England bezog sich das offenbar nicht auf schicke, sondern auf kostümierte
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