Hex Hall 02 - Hawkins, R: Hex Hall 02
durchkämpfte. Seine Lippen waren schmal, und ich glaubte, Furcht in seinen mir so vertrauten braunen Augen zu sehen. Beinahe hätte ich Archer zugerufen, er solle von hier verschwinden, doch mir wurde gerade noch rechtzeitig bewusst, wie dumm das gewesen wäre. Als dann eine Bewegung in die Menge kam, war er fort.
Danach rückte Cals Gesicht in mein Blickfeld. Aufgrund des Pfeiftons in meinen Ohren konnte ich ihn zwar nicht hören, aber ich bin mir ziemlich sicher, von seinen Lippen abgelesen zu haben, dass ich still liegen bleiben solle – was mir nicht sonderlich schwer fiel.
Er hielt meine Hand, und wenn der Schmerz auch nicht nachließ, so umhüllte mich dafür doch eine angenehm duselige Gelassenheit. Also war ich recht entspannt, als ich den Kopf zur Seite drehte und dabei zusah, wie Cal eine zwanzig Zentimeter lange Dämonenglasscherbe aus meiner Schulter zog. Sobald er sie entfernt hatte, wurde das Brennen schwächer, aber ich wusste schon, dass ich mir eine weitere Narbe eingehandelt hatte. »Dieses Geschenk war wirklich ätzend«, murmelte ich.
Dann kam Dad herüber, schob mir eine Hand unter den Rücken und half mir, mich aufrecht hinzusetzen. Dabei rutschte ein Ärmel seiner Robe hoch, und ich sah, dass sein Unterarm von unzähligen kleinen Splittern dieses scheußlichen Dämonenglases übersät war.
»Mir geht es gut«, sagte er, noch bevor ich fragen konnte. »Cal kann sie später herausziehen. Ist mit dir alles in Ordnung?«
Meine Schulter stand noch immer in Flammen, ansonsten hatte ich aber keinerlei Schmerzen, und abgesehen von diesem Schock, plötzlich nach hinten geworfen und dabei fast erstochen zu werden, fühlte ich mich prima. »Ich glaube schon. Was war das denn? So was wie eine magische Rohrbombe?«
Das Schreckensgeschenk lag in Fetzen auf dem Boden, doch sein Band rollte sich auf wie eine Schlange und schnappte angriffslustig in die Luft. Cal trat einmal kräftig auf dieses bissige Band, und schon regte es sich nicht mehr. »Sieht so aus«, sagte er grimmig.
»Und es war behext, nach dir zu suchen«, fügte Dad hinzu. Er wirkte so besorgt und zugleich zornig, dass ich beschloss, ihm lieber nicht noch damit zu kommen, dass heutzutage niemand mehr solche Begriffe wie behext verwendete.
»Gott sei Dank haben Sie nicht allzu viel Dämonenglas in die Finger bekommen«, bemerkte Lara, und überrascht blickte ich auf – ich hatte sie den ganzen Abend noch nicht gesehen. Sie trug ein elegantes Kleid aus dem 18. Jahrhundert mit Reifrock und einem tiefen, viereckigen Ausschnitt. Ihr Haar war unter einer turmhohen, gepuderten Perücke verborgen. »Offenbar war dieses Stück das größte«, sprach sie weiter und trat mit dem Fuß nach der Scherbe, die sich in meine Schulter gebohrt hatte. Roderick stand direkt hinter ihr und schlug langsam mit seinen schwarzen Flügeln. Lara drehte sich zu ihm um und sagte: »Durchsuchen Sie das Gelände! Falls Cross noch hier ist, werden wir ihn finden.«
Mein Gehirn fühlte sich immer noch ganz benebelt an, und mit schwacher Stimme fragte ich: »Cross?«
Es war Mrs Casnoff, die mir antwortete. »Ohne Frage steckt Das Auge dahinter. Wer sonst sollte so etwas tun?«
»Und da es nur ein Auge gibt, das Magie wirken kann«, sagte Lara, deren Stimme beinahe genauso klang wie die ihrer Schwester, »liegt die Antwort wohl auf der Hand. Archer Cross hat soeben einen weiteren Anschlag auf Ihr Leben verübt.«
27
Zäh wie Karamelltoffee zogen sich die nächsten neun Tage dahin. Mrs Casnoff war inzwischen wieder nach Hecate zurückgekehrt, was mir eine gewisse Erleichterung verschaffte. Denn sie in Thorne zu haben, bedeutete für mich, dass zwei Welten aufeinanderprallten, und das war mir im Augenblick einfach zu viel. Allerdings verbrachte ich die meiste Zeit ohnehin allein in meinem Zimmer und erholte mich von der Verletzung. Und während ich stundenlang an die Wände starrte, hatte ich reichlich Zeit zum Nachdenken – hauptsächlich über Archer. Kurz nach der Explosion hatte ich den Ausdruck in seinem Gesicht gesehen. Er war erschrocken gewesen. Geschockt sogar, und zwar nicht nach dem Motto Hoppla, mein Mordanschlag lief wohl nicht so wie geplant . Er hatte nichts davon gewusst, also konnte er auch nicht derjenige gewesen sein, der das Geschenk hereingeschmuggelt hatte. Was wiederum keinen anderen Schluss zuließ als den, dass dort draußen ein Unbekannter frei herumlief und mich töten wollte. Bei diesem Gedanken hätte ich mich am liebsten unter
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