Hex Hall - Hawkins, R: Hex Hall
und wünschte mir, der Lichtkreis, den sie warf, wäre größer gewesen. Wie die Dinge lagen, konnte ich in diesem Halbdunkel Cals Gesicht kaum sehen. Dann schob ich die Hände wieder hinten in die Hosentaschen und stieß einen langen Atemzug aus. Cal setzte sich auf die Pritsche, die unter seinem Gewicht leicht knarrte. Er stützte die Ellbogen auf seine gespreizten Knie und verschränkte die Hände vor sich, sagte aber immer noch nichts.
»He«, begann ich, und meine Stimme war viel zu laut, »wenn du, ähm, Hunger hast oder so, kann ich mal gucken, was in der Küche ist. Man kriegt vermutlich ganz schön Hunger, wenn man um sein Leben rennt und einen machtlosen Dämon durch die ganze Welt schleppt, oder?« Sobald die Worte ausgesprochen waren, wand ich mich innerlich so heftig, dass es mich überraschte, mir nichts verrenkt zu haben.
»Ich habe keinen Hunger«, antwortete er mit leiser Stimme.
»Cool«, sagte ich. »Dann werd ich dich mal allein lassen, damit du ein bisschen schlafen kannst.«
Mit flammend roten Wangen steuerte ich auf den Eingang zu.
Und dann hörte ich hinter mir: »Ich hab an dich gedacht. Jeden Tag.«
Ich erstarrte, noch immer die Zelttür in der Hand.
Cals Stimme klang etwas heiser, als er fortfuhr: »Drei Wochen sind eine lange Zeit, wenn man sich Gedanken darüber macht, wo jemand ist. Die ganze Zeit dachte ich, dass es vielleicht ein Fehler war, dir zu sagen, du solltest zu den Brannicks gehen.«
Jetzt drehte ich mich um. Ich wollte einen Witz oder eine sarkastische Bemerkung machen, irgendetwas, das die Spannung, die sich zwischen uns aufgebaut hatte, wieder zu lösen vermochte. Stattdessen murmelte ich: »Ich habe auch an dich gedacht.«
Cal sah auf, und ich blickte ihn an. »Cal, du … du hast meinem Dad das Leben gerettet. Du hast versucht, Archers Leben zu retten.« Meine Brust tat weh, als ich das laut aussprach, aber ich zwang mich fortzufahren. »Das ist so gewaltig, ich weiß noch nicht mal, wo ich anfangen soll. Danke bringt es irgendwie nicht, weißt du? Und ich glaube kaum, dass es einen Früchtekorb gibt, der groß genug wäre, um … «
Er stand auf. Plötzlich lagen seine Arme auf mir, und mein Gesicht drückte sich an seine Brust. Er roch gut und vertraut, und Tränen schossen mir in die Augen, als ich meine Hände auf seinen Rücken legte und ihn fester an mich zog. Er streichelte mein Haar. »Vielleicht geht es ihm gut, Sophie«, murmelte Cal. »Vielleicht konnte das Auge ihn rausholen.«
Ich presste die Augen zusammen. »Ich weiß«, flüsterte ich. »Das ist es aber gar nicht. Ich meine, das ist es schon, doch nicht nur. Es ist … alles ist so verkorkst, Cal.«
Er drückte mich fester. »Ich weiß. Jetzt, da Graymalkin verschwunden ist … « Er stieß einen langen Atemzug aus, sagte jedoch nichts mehr.
Daran hatte ich noch nicht einmal gedacht. Wie sehr Cal die Insel geliebt hatte. Mir fiel wieder ein, dass er mir in Thorne erzählt hatte, dass Graymalkin für ihn immer wie ein Zuhause gewesen sei. Ich war längst daran gewöhnt, mich etwas heimatlos zu fühlen, aber Cal hatte in Hex Hall gelebt, seit er dreizehn war.
Ich trat einen Schritt zurück, um ihm in die Augen zu sehen. »Es tut mir so leid«, murmelte ich.
Auf seinem Gesicht sah ich all das, was ich auch fühlte. Die Verwirrung, die Hilflosigkeit, die Einsamkeit. Und ich vermute, es war dieses letzte Gefühl, das mich dazu trieb, mich auf die Zehenspitzen zu stellen und meine Lippen sanft über seine zu streichen. Es sollte kein richtiger Kuss werden, es war mehr eine Geste des Dankes und des Trostes als sonst etwas. Aber als ich mich von ihm lösen wollte, legte Cal mir eine Hand auf die Wange, sein Mund neigte sich über meinen, und es wurde, einfach so, definitiv doch ein echter Kuss.
Ich erwiderte seinen Kuss und griff mit den Händen in sein T-Shirt. Eine Minute lang fühlte es sich schön an. Das heißt, besser als schön, ehrlich. In seinen warmen Armen fühlte ich mich sicher und geborgen.
Und dann riss ich mich plötzlich mit heißem Gesicht los. »O Gott, und jetzt tut mir auch noch das leid«, sagte ich, drehte ihm den Rücken zu und wischte mir mit zitternden Händen über die Wangen.
Ich hatte vorher schon gedacht, dass die Atmosphäre im Zelt angespannt war. Jetzt aber erstickte ich praktisch an ihr. Hinter mir hörte ich Cal aufseufzen. »Nein, mir tut es leid«, sagte er. »Wir sind beide … wir sind hier an einem seltsamen Ort.«
Da drehte ich mich um und lächelte ihn
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