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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wurden meist mit Applaus quittiert.
    Zu dieser Stunde aber waren bis auf einen alle Schreibtische verlassen. Nur Ella, eine der Sekretärinnen, saß über einen Stapel Papier gebeugt und sortierte Blätter. Sie grüßte, als sie die beiden bemerkte, und versuchte vergeblich, ein schadenfrohes Grinsen zu unterdrücken, als sie den Fleck auf Dominiks Jacke bemerkte.
    »Herr von Poser«, rief sie Max durch den leeren Raum hinweg zu. »Herr Zacharias möchte sie in einer halben Stunde in seinem Büro sehen.«
    Max winkte ab und trat an seinen Schreibtisch am Fenster, während Dominik verdrießlich mit einem Stück Papier an seinem Revers herumwischte.
    »Vielleicht hast du dich getäuscht«, sagte Max. »Vielleicht wirft er mich doch noch raus.«
    Dominik starrte finster auf den hellen Fleck, der auf seiner Jacke zurückblieb. »Ja, vielleicht.« Mit Daumen und Zeigefinger formte er eine Pistole und zielte auf den Vogel unter der Decke. »Bumm!« machte er.
    Der Vogel drehte und drehte und drehte sich.
    »Wo sind die anderen?« fragte Max, während er die Zahlen aus seinem Notizbuch in den Manuskriptstapel seiner Kulturgeschichte übertrug.
    Ella blickte erneut auf. »Alle im Einsatz. Eine alte Frau hat behauptet, ein Fischmensch aus dem Wannsee habe ihren Pudel gefressen. Kinder wollen im Keller ihrer Schule einen Altar entdeckt haben, auf dem ihre Lehrer Tieropfer bringen. An der Wand der Synagoge in der Fasanenstraße hat man angeblich eine Spinne mit Fledermausflügeln gesichtet. In Buckow wurde ein Kalb mit zwei Köpfen geboren. In Reinickendorf...«
    »Danke«, unterbrach Dominik mürrisch ihren Redeschwall, »es reicht.«
    »Wie gut, daß es so viele wirklich bedeutsame Aufgaben gibt«, bemerkte Max sarkastisch, ohne von seinen Blättern aufzusehen.
    Dominik deutete spöttisch auf das Manuskript. »Ein Glück, daß immerhin einer sich den wirklich wichtigen Dingen widmet.«
    »Ich weiß deine Dankbarkeit zu schätzen.«
    »Bald wird man sowieso sämtliche Treppen niederreißen, weil wir alle nur noch Aufzug fahren.«
    »Hätten die alten Römer alle Packesel erschlagen, als sie die ersten Sklaven fingen, würdest du nicht hier sitzen.«
    Dominik brummte etwas, während Ella im Hintergrund kicherte.
    Max beendete seine Aufzeichnungen und hielt vergeblich nach Kaffee Ausschau. Auf einem Tisch am Fenster stand ein Stapel ungespülter Tassen, aber die Blechkanne war nirgends zu sehen. Irgendwer mußte sie in einen der anderen Räume entführt haben.
    »Hast du eine Ahnung, was dein Vater von mir will?« fragte er an Dominik gewandt, der gerade ein neues Farbband in seine klobige Schreibmaschine einlegte. »Außer mich zu feuern, meine ich.«
    »Ein Auftrag, nehme ich an.«
    Max schnitt eine gequälte Grimasse. »Verflixt!«
    »Ich würde dich rauswerfen«, spöttelte Dominik und fluchte gleich darauf, als seine Finger sich im Farbband verhedderten.
    »Wie der Vater, so der Sohn.«
    Dominik lächelte, aber es wirkte nicht ganz so gelöst wie sonst. »Ich fürchte, da ist was dran.«
     
    Sina saß im Archiv und begutachtete unglücklich das halbe Dutzend Aktenordner, das Karel Haaf, der Archivar, vor ihr auf den Tisch häufte.
    »Hier, unterschreiben Sie das«, bat er und hielt ihr eine Benutzungsbestätigung vor die Nase.
    »Ist das wirklich nötig?« Seufzend griff sie nach einem Stift.
    Karel sah sie streng an. »Das gilt für alle, sogar für den Alten.« Er war ungemein penibel, was die Ordnung in seinem Archiv anging.
    Sie unterschrieb: Sina Zweisam. Sie kannte jeden anzüglichen Witz über ihren Namen. Keinen hatte sie weniger als dreimal gehört.
    Das Archiv war auf dem Speicher der Villa untergebracht, ein staubtrockener, weitläufiger Raum, der von mehreren Regalreihen beherrscht wurde. Jedes Fach, jeder freie Winkel war mit Ordnern und schweren Folianten zugestopft. Die Regale und Schränke quollen über vor Papier. Vieles war Fachliteratur, einiges davon mehrere hundert Jahre alt. Den meisten Platz aber nahmen die Berichte der Agenten ein. Gut neunzig Prozent entlarvten die Meldungen von übersinnlichen Erscheinungen als Unfug und Hirngespinste. Über neun Prozent waren unaufgeklärt. Interessant war allein der winzige Rest.
    Karel deutete auf die sechs prallgefüllten Ordner und hob eine Augenbraue. »Sie werden drei Tage brauchen, wenn Sie das alles durcharbeiten wollen. Und ob Sie ihn dann wirklich finden – ich weiß es nicht...«
    Sina ließ seinen Einwand nicht gelten. »Er ist kleinwüchsig. Ein

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