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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gewissen versucht und war damit gescheitert. Jetzt vertraute er nur noch auf die Kraft der Wiederholung. Er hoffte wohl, irgendwann würden seine Worte Max zur Vernunft bringen.
    »Müssen wir diese Diskussion jetzt führen?«
    Dominik zog eine Grimasse. »Hör auf, mit mir wie mit deinem Vater zu reden.«
    »Du redest wie deiner.«
    »Ich rede wie jeder gescheite Mensch reden würde.«
    Max gab sich zugleich amüsiert und gedankenverloren. »Was sagst du denn zu meiner Theorie von vorhin?«
    »Interessant.«
    »Sie ist abgegriffen.«
    Dominik neigte den Kopf. »Ich denke, sie stammt von dir?«
    »Ich hab’ nur den Bezug zum Steigverlauf...«
    »... der Treppe hergestellt, natürlich.«
    »Ja, genau. Aber ›Das Leben verläuft in Schlangenlinie‹? Ich weiß nicht... Klingt irgendwie flach.«
    »Steht das schon in deinem Buch?«
    Max nickte nachdenklich.
    »Dann streich’s wieder raus.« Dominik schaute ihn auffordernd an. »Kommst du mit rauf?«
    Max überlegte einen Augenblick und faßte den Entschluß, daß es wenig Sinn hatte, weitere Messungen anzustellen. Außerdem wollte er seine Ergebnisse aus dem Notizbuch in die Fußnoten seines Manuskriptes übertragen. Es lag in der Schreibtischschublade. Auf der obersten Seite stand: Kultur- & Geistesgeschichte der Treppe. Ein viel zu behäbiger Titel für etwas, an dem er aus purem Vergnügen arbeitete. Aber ihm war noch kein besserer eingefallen.
    Gemeinsam stiegen sie hinauf ins Allerheiligste der Abteilung Sechs, der irgendwer den Spitznamen Hex verpaßt hatte.
    Abteilung Sechs. Die Abteilung für unbearbeitete Reichsangelegenheiten.
    Max fragte sich, weshalb sich überhaupt jemand aufregte, wenn seine Fälle liegenblieben und er sich statt dessen Sinnvollerem zuwandte. Er machte dem »unbearbeitet« im Namen der Abteilung doch alle Ehre.
    Einmal hatte er das dem alten Zacharias gegenüber laut ausgesprochen. Ein Tobsuchtsanfall war die Folge gewesen. Dominiks Vater war kein Mann für höhere Ironie.
    »Wie geht’s Larissa?« fragte Dominik, als sie den oberen Treppenabsatz erreichten.
    »Man hat ihr eine Rolle angeboten. Im Student von Prag .«
    »Gab’s den nicht schon mal?«
    Max nickte. »Ist ’ne Neuverfilmung.«
    »Und man hat ihr die Rolle wirklich angeboten?«
    »Sie hat vorgesprochen, und die haben sie genommen.«
    »Das ist toll.«
    Max holte Luft, blickte auf seine Hände und lächelte halbherzig. »Wie man’s nimmt. Das Szenarium ist von Ewers.«
    »Alraunen -Ewers?«
    »Eben dem.«
    Dominik warf ihm ein wissendes Lächeln zu. »Oho.«
    Der Schriftsteller Hans Heinz Ewers hatte anderthalb Jahrzehnte zuvor den Roman Alraune publiziert; aufgrund seiner Freizügigkeit war das Werk zum Skandal geraten – und hatte sich entsprechend gut verkauft. Seither hing seinem Namen der Beigeschmack des Ruchlosen, fast Obszönen an.
    Max stieß einen bitteren Laut aus. »Meinen Vater wird das ins Grab bringen.«
    »Das hat er schon behauptet, als du ihm Larissa vorgestellt hast«, sagte Dominik mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Und noch mal, als er erfahren hat, daß ihr heiraten wollt.«
    Max imitierte das Naserümpfen seines Vaters. »Eine Schauspielerin – schlimm genug. Aber in einem Ewers-Film? Lieber Himmel!«
    Vor ihnen öffnete sich der Korridor zu einem großen Raum, in dem ein Dutzend Schreibtische standen. Unter der Decke hing ein elektrisch betriebenes Flügelrad, ein dreiarmiger Propeller, der die Luft aufwirbelte. Der alte Zacharias hatte ihn zum dreijährigen Bestehen des Hex gestiftet. In seinem eigenen Büro, am anderen Ende des Flurs, hingen gleich zwei davon.
    Auf einem der drei Flügel saß ein gelber Vogel, nicht größer als eine Hand, und drehte sich mit dem Rad im Kreis. Immer und immer wieder. Einer der Agenten hatte ihn eines Tages mitgebracht, und seitdem saß er dort oben und drehte sich geduldig. Nachts, wenn das Büro verlassen war, sprang er herunter und pickte die Körner aus seinem Napf auf der Fensterbank und trank ein paar Tropfen Wasser, doch spätestens am Morgen, wenn die ersten Mitarbeiter des Hex eintrafen, saß er wieder auf seinem Propeller und fuhr Karussell.
    Welches Problem das mit sich brachte, erfuhr Dominik jetzt am eigenen Leib. Mit einem kaum hörbaren Laut landete ein Klecks weißen Vogelkots auf seinem Revers. Die Drehung katapultierte solche Geschosse in unregelmäßigen Abständen durch den ganzen Raum. Trotzdem hatte nie irgend jemand verlangt, das Tierchen abzuschaffen. Im Gegenteil: Solche Treffer

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