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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Luft halten.
    Schließlich erreichten sie ihre Unterkünfte. Die Kabinen waren in Dreiergruppen zu beiden Seiten des Steges angeordnet. Schmale Gänge, die zur Außenhülle führten, trennten sie voneinander. Max und Sina waren im ersten Dreierblock untergebracht, wobei Zacharias dafür gesorgt hatte, daß die dritte Kabine leer blieb.
    Die winzigen Kammern besaßen keine Seitenwände. Lediglich Leinenplanen waren straff zwischen den einzelnen Quartieren gespannt. Allein die Rückwände bestanden aus Holz, an ihnen waren Waschbecken und schmale Schränke befestigt. Die Konstrukteure der Polar hatten an Gewicht gespart, wo es nur ging.
    Die Kabinen entsprachen keineswegs dem Standard der üblichen Passagierschiffe. Max, der mindestens ein halbes Dutzend Luftfahrten mitgemacht hatte, aber noch in keinem Notquartier wie diesem untergebracht worden war, fluchte leise vor sich hin.
    Die linke Plane beulte sich spitz zu seiner Seite hin aus. Sina drückte in ihrer Kabine mit dem Finger dagegen. »Ich hoffe, du schnarchst nicht«, sagte sie, und es klang keineswegs, als wollte sie einen Spaß machen.
    Max lauschte auf die Laute der übrigen Fahrgäste, stellte aber fest, daß sie durch die Dreiergruppierung der Kabinen weit genug entfernt waren, um Gespräche unverständlich zu machen. Er horchte sicherheitshalber in das Quartier rechts von ihm und vergewisserte sich, daß es leer blieb.
    »Wie lange dürfen wir diesen atemberaubenden Komfort genießen?« fragte er und hörte, wie Sina ein Blatt Papier auseinanderfaltete.
    »Voraussichtliche Ankunft in Nuuk am Mittwoch nachmittag«, las sie vor.
    »Drei Tage. Großartig.«
    Aber Sina dachte: Drei Nächte. Sie betete, daß die Träume sie in Ruhe ließen. Es kam vor, daß sie im Schlaf um Hilfe schrie.
    Um Hilfe für die Kinder.
     
    Der Magier erreichte den Flughafen mit Verspätung. Er war der letzte Passagier, der an Bord der Polar ging. Der Mann am Einstieg bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick, sagte aber nichts. Hinter ihnen wurde die Treppe eingezogen.
    Ein plappernder Schiffsjunge führte ihn zu seinem Quartier. Seine Kabine lag in der Mitte einer Dreiergruppe, und aus den beiden angrenzenden Kammern erklang das Rascheln von Kleidung, die aus Koffern genommen und in die Schränke geräumt wurden. Der Magier machte sich daran, das gleiche zu tun.
    Die gefälschten Papiere aus dem Umschlag seines Auftraggebers wiesen ihn als Friedrich Nordhoff aus, ein Forscher, der nach Nuuk reiste, um die Integration der Ureinwohner in die dänischen Kolonialstrukturen zu untersuchen. Er hoffte nur, daß kein zweiter Wissenschaftler mit gleichem Fachgebiet an Bord war, der ihn in ein Gespräch verwickeln würde. Soweit wie möglich würde er den anderen aus dem Weg gehen. Sollte sich nicht durch Zufall eine günstige Gelegenheit ergeben, wollte er seinen Auftrag ohnehin erst erfüllen, nachdem sie in Nuuk gelandet waren.
    Als letztes nahm er zwei Zeitungen aus seinem Handgepäck, Morgenausgaben der Berliner Illustrirten und des 12-Uhr-Blattes. Sie meldeten die brutalen Morde an zwei Kritikern, die für die beiden Zeitungen gearbeitet hatten. Beide waren am Abend von unbekannten Tätern auf offener Straße ausgeraubt und getötet worden. Man hatte ihnen Kehle durchgeschnitten. Die Polizei vermutete jugendliche Räuber, die dem Mann und der Frau nach dem Besuch einer Abendvorstellung gefolgt waren. Als beide sich zur Wehr gesetzt hatten, hatte man sie ermordet. Die Behörden gaben sich zuversichtlich, daß die Täter bald gefunden würden. Erste Spuren, so hieß es, führten ins Scheunenviertel.
    Der Magier las die Artikel sehr sorgfältig, zweimal, dann schlug er jene Seiten auf, die ihn weit mehr interessierten. Beide Zeitungen druckten Berichte über seine Vorstellung und überschlugen sich vor Lob und Begeisterung. Vom Absturz des Pendels war nirgends die Rede. Beide Autoren, Kritiker von Rang, beschrieben den Abend, als hätte der Magier all seine Kunststücke vorgeführt und dafür den frenetischen Jubel des Publikums geerntet.
    Er lächelte. Sein Ruf war gerettet. Nicht einmal Mundpropaganda würde ihm nach solcher Zustimmung von höchster Stelle noch schaden können. Es war richtig gewesen, daß er diesen Auftrag angenommen hatte.
    Daß er die beiden Kritiker, jene, die tatsächlich in der mißglückten Vorstellung gewesen waren, trotzdem beseitigt hatte, hatte zweierlei Gründe. Zum einen wollte er seinen Auftraggebern beweisen, daß er nicht zwangsläufig auf ihre

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