Hexenblut
Sanjay Gandhi National Park ist nur ein paar Straßen weiter«, erklärte sie. »Der größte innerstädtische Park der Welt.«
»Bien«, sagte er. »Locken wir ihn dorthin, und dann sehen wir, was wir ausrichten können.«
Sie drehte sich um und überquerte die Straße.
Scarborough: Amanda
Ihr Zauber hatte funktioniert.
Amanda saß um vier Uhr früh zusammengekauert in der Küche und betrachtete Bilder von sich selbst, die in der Luft schimmerten. Sie sah sich schlafen, träumen, sich in Albträumen hin und her wälzen. Schließlich beobachtete sie, wie sie aufstand und durch das Haus wandelte, bis sie das Arbeitszimmer des ehemaligen Besitzers erreichte. Sie holte ein paar Bücher aus den Regalen und sortierte sie in alle möglichen Regalfächer wieder ein, überall im Raum verstreut.
Sie verstand das nicht, sah aber gebannt weiter zu, wie ihr schlafendes Selbst das Arbeitszimmer verließ, die Hintertreppe hinabstieg und vor derselben nackten Wand stehen blieb, vor der sie tatsächlich schon aufgewacht war. Zu ihrer Überraschung sah sie sich selbst die Hand heben, an einer Stelle über ihrem Kopf kräftig an die Wand drücken und dann durch eine Öffnung treten, die sich auf magische Weise aufgetan hatte. Sobald sie hindurch war, verschmolz die Geheimtür wieder mit der Wand, und die Vision brach ab.
Zitternd und schwitzend stand Amanda auf und dachte über das nach, was sie eben gesehen hatte. Es gab einen Geheimgang in Haus Moore, und sie selbst hatte ihn im Schlaf, im Traum entdeckt. Sie war vor eben dieser Wand aufgewacht - bevor oder nachdem sie hindurchgegangen war? Sie wusste, dass sie es den anderen sagen sollte. Sie hatten ein Recht darauf zu wissen, welche Gefahren in ihrem derzeitigen Zuhause lauerten.
Sie warf einen Blick auf die Uhr der Mikrowelle. Die anderen würden frühestens in zwei Stunden aufstehen. Sie schnappte sich ihre Taschenlampe und ging zu der Wand, schob die Hand daran hoch und drückte in der Hoffnung, die richtige Stelle zu treffen. Sie fragte sich, ob es vielleicht irgendeinen Zauber gab, den sie dabei sprechen musste. Hätte sie doch nur daran gedacht, ihren kleinen Video-Zauber mit Tonaufzeichnung zu versehen.
Sie tastete die Wand ab, aber die schien vollkommen glatt zu sein. Nach ein paar Augenblicken jedoch musste sie die richtige Stelle getroffen haben, denn das Loch tat sich vor ihr auf.
Ich sollte da nicht hineingehen, dachte sie, als sie über die Schwelle trat. Ich sollte wirklich die anderen dazuholen. Das Portal schloss sich hinter ihr, und nur ihre Taschenlampe erhellte die völlige Dunkelheit.
»Na los, Füße. Ihr wart schon mal hier, ihr wisst, wo es langgeht«, murmelte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
Zögerlich marschierte sie los. Als sie feststellte, dass der Boden offenbar sicher war, schritt sie zügiger voran. Der Gang führte abwärts und wand sich dann hin und her wie eine Schlange. Schon nach kurzer Zeit wusste sie nicht mehr, wo unter dem Haus sie sich befand oder ob sie es bereits ganz verlassen hatte. Der Tunnel endete schließlich in einer großen Kammer mit Türen an drei Seiten. Eine Tür hing schief und verkohlt in den Angeln. Bei dem Raum dahinter schien es sich um eine Art riesigen Käfig zu handeln.
Ist der Drache von hier gekommen?
Sie trat zurück.
In der Mitte des Raums war ein Tisch mit einem Armleuchter und mehreren sehr alt aussehenden Handschriften. Ein Stuhl stand abgerückt vor dem Tisch, als sei der Letzte, der darauf gesessen hatte - vermutlich sie selbst, begriff sie -, in aller Eile gegangen. Ein Manuskript lag offen auf den anderen. Es war riesig, mindestens dreißig Zentimeter hoch und gut zwölf Zentimeter dick. Das Material fühlte sich an wie irgendeine Tierhaut. Amanda legte den Zeigefinger auf die aufgeschlagene Seite und blätterte zurück zum Anfang.
»Prophezeyungen des Magus Merlin.«
Sie schauderte. Bei der Insel, auf der Nicole gefangen gewesen war, sollte es sich angeblich um Avalon handeln. Es hieß, dass der Geist des dunklen Zauberers Merlin dort noch immer sein Unwesen trieb.
Sie schlug wieder die Seite auf, die sie mit ihrem Finger markiert hatte, und versuchte, den Text zu lesen. Er war in irgendeiner uralten Sprache verfasst, die sie nicht entziffern konnte. Sie legte das Buch vor sich hin, schloss die Augen und berührte dann ihre Lider mit den Fingerspitzen. »Göttin, segne meine Augen, lass mich lesen, was sie schauen«, sagte sie.
Sie öffnete die Augen, schaute auf das Manuskript hinab
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