Hexenblut
Kreis.
Sie musste ein paar Minuten lang ihre Kräfte sammeln. Dann würde ihre Flucht beginnen.
55
A lle drehten sich erschrocken um, Olwen ließ das Messer fallen, und einige der anderen Beteiligten schauten zur Tür, woraufhin ich ebenfalls das Versteck verließ, um zu verhindern, dass jemand die Flucht ergriff. Am Scheunentor angekommen, entdeckte ich eine Reihe von Schaltern und legte sie um. Prompt wurde der Raum in grelles Licht getaucht.
»Was ist hier los?«, fragte Olwen aufgebracht und blinzelte wegen der Helligkeit.
»Polizei!«, rief Lucas und holte seine Dienstmarke hervor. »Sie haben diese Frau mit einem Messer bedroht.«
Niemand sagte ein Wort. Ich sah, wie manche Kerze zu flackern begann, da manch einer, der einen Kerzenleuchter hielt, zitterte. Die Wut, die von den Versammelten ausging, war deutlich spürbar.
»Das hier ist unsere Kirche«, erklärte Olwen aufgebracht. »Sie sind in unsere Kirche eingedrungen und haben unseren Kreis gebrochen.«
Mein Blick fiel auf die junge Frau, die zusammengekrümmt auf dem Boden kauerte und irgendwie versuchte, ihre Blöße zu bedecken. Ich zog meine Jacke aus und ging zu ihr, wobei ich deutlich die erschreckten Laute von allen Seiten hörte, als ich das Pentagramm durchquerte. Ich nahm der Frau die Augenbinde ab und löste die Knoten ihrer Fessel. Als sie von den Seilen befreit war, legte ich meine Jacke um sie. Auch wenn sie mich nicht ansah, zog sie die Jacke dennoch fester um sich, da sie ihr Schutz vor der Kälte bot.
»Was ist hier passiert?«, fragte ich sie leise.
»Ich wollte mich der Kirche anschließen«, sagte sie traurig. »Aber das kann ich jetzt nicht mehr, weil Sie dazwischengegangen sind.«
»Sie haben erklärt, Sie wollten sterben.«
Sie hob den Kopf, und ich sah die Tränen in ihren Augen. »Ich wollte mich von meinem alten Leben verabschieden. Julie sollte sterben, ich sollte wiedergeboren werden.«
»Sag nichts mehr«, forderte Olwen sie energisch auf. Mir wurde klar, dass Lucas ein Fehler unterlaufen war. Er hatte Panik bekommen, da er in Sorge gewesen war, bei dem Ganzen könnte es sich um eine rituelle Opferung handeln. Tatsächlich jedoch hatten wir einem Einführungsritual beigewohnt, weiter nichts.
»Niemand geht, bevor ich nicht ein paar Antworten bekommen habe«, verlangte Lucas nachdrücklich.
Olwen dagegen schüttelte den Kopf. »Sie haben hier nichts zu sagen. Sie mögen zwar den Kreis gebrochen haben, aber Sie können uns nicht daran hindern, diesen Ort zu verlassen. Wir haben nichts Unrechtes getan.« Er sah die anderen Anwesenden an und streckte die Arme aus. »Geht nach Hause, wir unterhalten uns morgen früh. Es wird unser besonderer Tag sein, und wir werden feiern.«
Lucas schaute mich unsicher und verwirrt an, dann sah er zu Abigail und Isla. Sie wichen seinem Blick aus, woraufhin er mir zunickte, ich solle das Scheunentor öffnen. Bei jedem, der an mir vorbei nach draußen ging, versuchte ich festzustellen, ob er wohl zu einem Interview bereit sein würde, aber sie hielten alle den Kopf gesenkt. Die junge Frau legte mein Jackett ab und gab es mir zurück, dann zog sie ihr Kleid über und hielt die Fetzen mit einer Hand zusammen, während sie mit tränenüberströmtem Gesicht nach draußen eilte. Als alle gegangen waren, nickte Olwen mir zu, damit ich das Scheunentor schloss, dann nahm er das kupferne Stirnband ab.
Jetzt, da er im hellen Licht allein in der Scheune stand, überraschte mich sein Erscheinungsbild. Die Zeremonie hatte sehr düster gewirkt, doch vor mir stand ein ganz normaler Mann im mittleren Alter, der völlig harmlos wirkte. Lediglich der Pferdeschwanz deutete auf einen etwas anderen Lebensstil hin. Seine Wangen waren mit geborstenen Äderchen überzogen, und graue Bartstoppeln verrieten, dass er sich ein oder zwei Tage lang nicht rasiert hatte. Er roch nach Zigaretten, und seine Fingerspitzen waren auffallend gelblich verfärbt.
»Wieso ist die Polizei hier?«, fragte Olwen in müdem Ton.
Ich sah zu Lucas, der sich noch immer durch den Kopf gehen ließ, was er getan hatte. »Ich bin kein Polizist«, sagte ich. »Ich bin Reporter, und man hat mich gebeten, nach Sarah Goode zu suchen.«
»Wer hat Sie darum gebeten?«
»Ihre Eltern.«
Er seufzte leise. »Dann stehen wir auf der gleichen Seite, wir wollen Harmonie auch zurückhaben.«
»Harmonie?«, wiederholte ich.
»Sarah war Harmonies Name in ihrem alten Leben, bevor sie starb und wiedergeboren wurde. Sie heißt jetzt
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