Hexenblut
Whitcroft?«, fragte er.
Sie warf einen Blick auf den Namen auf der ersten Seite. »Ja, so heißt er. Kennst du ihn?«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Er ist der schlimmste Schläger von Blackley. Seine Kinder ernährt er, indem er alles Blei von den Dächern der Stadt klaut und es auf dem Schrottplatz zu Geld macht. Mittlerweile hat er sich auf den Diebstahl von Kabeln verlegt, weil er meint, dass wir ihm dadurch nicht so leicht auf die Spur kommen.«
»Vielleicht leidet er ja neuerdings auch unter Höhenangst«, meinte sie und überflog die Seite weiter. »Sieht so aus, als hätten sie ihn mit einem ganzen Transporter voll mit dem Zeug erwischt.«
»Na, wunderbar«, stöhnte Pete.
»Wieso? Was ist schlecht daran?«
»Todd Whitcroft gibt nie irgendetwas zu. Er wird behaupten, dass er eine Genehmigung hatte, oder er wird gar keinen Ton von sich geben.«
Laura ahnte, es würde ein langer Tag werden, was ihr sofort aufs Gemüt schlug. »Dann werden wir also eine komplette Bestandsaufnahme machen müssen, nur damit wir beweisen können, woher er die Sachen hat.«
»Ganz genau.« Er stieß sich von ihrem Schreibtisch ab. »Und das erledigen wir am besten jetzt gleich.«
Müde erhob sie sich von ihrem Stuhl und folgte Pete aus dem Zimmer. Als sie durch den Korridor gingen und ihr Partner mal mit diesem, mal mit jenem Kollegen ein paar Worte wechselte, hörte Laura Stimmen aus dem Besprechungsraum vor ihnen.
Ihre Wangen wurden schon rot, wenn sie nur an die Demütigung vom Vortag dachte. Dennoch warf sie einen Blick in den Raum, als sie dort vorbeiging. Die meisten führten Telefonate, vermutlich um bereits bekannte Spuren erneut daraufhin zu überprüfen, ob irgendein Detail übersehen worden war. Nur einer von ihnen sah auf – der Cop im Polohemd, der wieder so leger und ganz anders gekleidet war als die Anzugträger, die Carson umschwärmten. Als er Laura bemerkte, lächelte er sie an und nickte freundlich.
Pete drückte den Sicherheitsschalter, dann verließen die beiden das Gebäude und betraten das Kopfsteinpflaster des Parkplatzes. Als Laura die schmutzigen Kabel sah, die unter der Heckklappe eines ramponierten Ford Transit hervorquollen, stöhnte sie unwillkürlich auf.
»Du schreibst mit«, sagte Pete und drückte ihr das Klemmbrett in die Hand, »und ich klettere auf die Ladefläche und rufe dir zu, was wir alles haben.«
Fast hätte sie protestiert, dass sie nicht seine Sekretärin war, doch dann schaute sie auf ihre sauberen Hände und ihre Uniform. Vielleicht war es gar nicht so verkehrt, Pete den Vortritt zu lassen.
***
»Hast du noch mal darüber nachgedacht?«, fragte der Maskierte, als er die Zelle betrat. Er stand ganz entspannt da, die Arme ruhten an seinen Seiten.
»Über was?« So gut es ging, bedeckte sie ihre Blöße.
»Darüber, mich umzubringen.«
Aufgebracht schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß nicht, für wen Sie sich halten, und ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.«
Er nickte ihr zu, und Sarah glaubte, erkennen zu können, dass unter der Kapuze ein Pferdeschwanz hervorschaute, der durch seine Geste in Bewegung geraten war. »Ich weiß, was du bist«, sagte er. »Aber du musst selbst auch dahinterkommen.«
Sie drehte sich weg und sah die Wand an.
»Glaubst du, du bist die Einzige hier, die Mitgefühl kennt?«, fragte er.
»Das kommt mir zumindest so vor«, erwiderte sie, nachdem sie ein paarmal tief durchgeatmet hatte.
»Dann irrst du dich«, erklärte er. »Moral ist für jeden etwas anderes. Aber was ist mit den Dingen, die du wirklich willst? Nicht die Wünsche und Fantasien, von denen die Leute dir sagen, dass du sie haben solltest. Sondern deine wahren Fantasien, die du niemandem anvertraust und die dich in der Nacht heimsuchen. Sie sind deine wahre Moral, ihnen solltest du dich öffnen.«
»Und was sollen das für Fantasien sein?«, gab sie zurück und wurde lauter. »Mord, so wie bei Ihnen? Folter? Vergewaltigung? Wollen Sie von mir hören, dass ich an so etwas denke? Oder dass ich vergewaltigt werden möchte? Dass ich es liebe, wenn man mir Schmerzen zufügt?«
Er schwieg.
»Aber vielleicht will ich ja nur ganz normale Dinge«, redete sie weiter. »Zum Beispiel eines Tages einem Mann begegnen, den ich liebe und mit dem ich in einem glücklichen Zuhause leben möchte. Was ist daran verkehrt?«
»Es ist feige«, sagte er. »Jeder hat eine dunkle Seite. Nähre sie, lass sie wachsen.«
»Und was ist mit Ihrer Moral?«, fragte sie und drehte sich wieder zu ihm
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