Hexenblut
Briefen ist es Sarah Goode, die so über sich selbst urteilt. Sie hat die Perspektive verändert, aber die Formulierung ist so dicht am Original, dass es kein Zufall sein kann.«
Katie sah unschlüssig auf die Unterlagen. »Vielleicht ist die Polizei ja längst dahintergekommen.«
»Kann sein«, erwiderte ich. »Das ändert allerdings nichts an der Bedeutung.« Ich zeigte auf den Brief. »Das ist ein Anzeichen dafür, dass sie psychisch ganz schön mitgenommen sein muss. Sarah hat den ursprünglichen Schuldspruch in ein Geständnis umformuliert. Aus › das Blut dieser unschuldigen Kinder …, die du auf so grausame und barbarische Weise ermordet hast‹ wurde bei ihr › das Blut dieses unschuldigen Kinds, das ich auf so grausame und barbarische Weise ermordet habe‹.«
Katie schaute nicht besonders begeistert drein.
»Was ist los?«, fragte ich. »Ich dachte, du würdest dich freuen. Schließlich machen wir erste Fortschritte.«
»Ich weiß, dass ich mit dem Vorschlag angekommen bin, aber das war nur so eine verrückte Idee«, antwortete sie leise. »Nachdem wir jetzt eine Verbindung zu den Hexenprozessen gefunden haben, finde ich das Ganze noch unheimlicher. Irgendwas scheint da ganz gehörig schiefgegangen zu sein.« Sie atmete tief durch und sah zur Decke, wobei ich glaubte, ein paar Tränen in ihren Augen sehen zu können. »Ich möchte nur, dass das alles endlich aufhört«, fuhr sie fort. »Bis vor ein paar Stunden sah es nur so aus, als ob sie für einen Moment den Verstand verloren hatte. Damit konnte ich klarkommen. Jeder von uns verspürt Leidenschaft, wir tun alle mal irgendwas, was wir später bereuen. Damit komme ich zurecht, das kann ich bis zu einem gewissen Grad nachfühlen. Aber wenn auf einmal die Rede von Hexen und Hexenprozessen ist, dann wird mir das zu unheimlich. Hier findet keine Hexenjagd statt, wir sind hier in Lancashire im 21. Jahrhundert.«
»Tut mir leid«, sagte ich. »Vielleicht habe ich mich von dem Ganzen ein wenig zu sehr mitreißen lassen. Immerhin tust du es nicht einfach als dummen Zufall ab, der nichts zu bedeuten hat. Wenn es dich so sehr beunruhigt, dann kann das nur daran liegen, dass du glaubst, es könnte etwas an der Sache dran sein.«
Katie erwiderte nichts. Irgendetwas musste vorgefallen sein.
»Was hast du entdeckt, Katie?«, fragte ich, obwohl ich wusste, es konnte nur das sein, was ich auch herausgefunden hatte.
Sie sah mich ernst an. »Ich hab das Gleiche gefunden wie du. Genau das Gleiche.«
Ich musste meine Begeisterung bändigen. »Zeig es mir«, sagte ich dann recht sachlich.
Aus ihrer Handtasche holte sie ihre Unterlagen hervor und gab sie mir.
»Ich hatte das alles sofort entdeckt, nur hatte ich keine Ahnung, was es bedeutete«, erklärte sie.
Ich warf einen Blick auf Katies Kopien, Pfeile und Unterstreichungen, ihre Handschrift, die sich in hastig Hingekritzeltes veränderte, da sie immer mehr Dinge herausfand, die sie so schnell wie möglich festhalten wollte, ehe sie verloren gehen konnten. Während ich dann las, bekam ich immer größere Augen.
»Das ist kein Zufall«, stellte ich fest.
Katie sah mich betrübt an. »Ich wusste, das bedeutet Ärger. Als du zu mir kamst, hatte ich gehofft, du hättest was anderes gefunden.«
»Aber immerhin gibt uns das eine Richtung vor, der wir folgen können.«
»Nein«, widersprach sie. »Das hilft nur dir bei deiner Story, sonst nichts.«
Darauf wusste ich keine Erwiderung. Stattdessen sagte ich: »Sehen wir uns mal an, was du gefunden hast.«
Wieder las ich Sarahs ersten Brief durch:
So war die Art meiner Vergehen und die Vielfalt meiner himmelschreienden Sünden, dass jedes Gefühl von Menschlichkeit abhanden kam. Der Mord, den ich begangen habe und der aller Welt offenbar wurde, rief gewiss Verachtung bei den Menschen hervor.
Sarah
Dann gab Katie mir eine Kopie aus einem Buch, ein Absatz war mit gelbem Textmarker gekennzeichnet:
… Aber so war die Art ihrer Vergehen und die Vielfalt ihrer himmelschreienden Sünden, dass jedes Gefühl von Menschlichkeit abhanden kam. Und die Wiederholung der höllischen Praktiken und die Rache als die hauptsächlichsten Dinge, an denen sie stets großes Vergnügen fand, zusammen mit einem ausdrücklichen Geständnis der Morde, die sie begangen hatte, machte das aller Welt offenbar.
Wieder verspürte ich diesen eisigen Schauer, diesen Adrenalinstoß. Etwas ging hier vor, etwas Wichtiges. Ich sah Katie an. »Woher stammt das?«, wollte ich
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