Hexenblut
wissen.
»Aus der Anklage gegen Anne Whittle.«
»Was? Aus der eigentlichen Klageschrift?«
Sie nickte. »Die Anklage umreißt darin den konkreten Vorwurf und das, was jeder Zeuge zu sagen hatte.«
»Also«, sagte ich und versuchte, eine Schlussfolgerung aus dem Ganzen zu ziehen, »Sarah schickt diese Briefe, und die Formulierung des ersten Briefs stammt aus den Unterlagen zur Vorbereitung des Prozesses gegen Anne Whittle. Sie stellt die Worte um, aber die Quelle ist unverkennbar. Sehe ich das richtig?«
Katie nickte. »So sieht’s aus.«
Ich zupfte an meiner Unterlippe. »Um was geht es im zweiten Brief?«, fragte ich.
Sie beugte sich vor und zog ein Blatt aus dem Stapel heraus. »Hier ist er.«
Zuerst las ich Sarahs Brief.
So grausam ist der Mord, und so grausam sind die himmelschreienden Sünden des Blutes, dass sie nur mit Blut abgegolten werden können.
Sarah
Dann widmete ich mich dem Zitat, das Katie gefunden hatte.
So grausam ist der Mord, und so grausam sind die himmelschreienden Sünden des Blutes, dass sie nur mit Blut abgegolten werden können.
Ich stieß einen leisen Pfiff aus. »Woher stammt das?«
»Aus der Anklage gegen Ann Redfern.«
»Es hat nichts mit Anne Whittle zu tun?«
»Ann Redfern war ihre Tochter«, erklärte Katie.
»War sie auch eine Hexe?«
»Eigentlich war es ein Familienstreit«, entgegnete sie. »Es konnte also nicht ausbleiben, dass auch die Kinder mit hineingezogen wurden.«
»Und wenn Anne Whittle eine Vorfahrin von Sarah war«, folgerte ich, »dann gilt das auch für Ann Redfern. Die Verbindung ist nach wie vor vorhanden.«
Ich war tief in Gedanken versunken und grübelte über Lösungen und Möglichkeiten nach, als Katie auf einmal sagte: »Ich frage mich, was das alles zu bedeuten hat.« Es klang mehr, als würde sie mit sich selbst reden.
»Muss es etwas bedeuten?«
»Natürlich«, gab sie zurück. »Es gibt so viele offene Fragen, aber vielleicht sollten wir zuerst einmal klären, warum sie ausgerechnet diese Sätze ausgewählt hat.«
Ich betrachtete die Notizen und kratzte mich am Kopf. »Es steckt eine gewisse Logik hinter der Auswahl.«
»Was meinst du damit?«, fragte sie verständnislos.
Wieder blätterte ich die Papiere durch. »Überleg mal«, sagte ich. »Die Briefe spiegeln den gesamten Prozessverlauf wider.« Ich hielt den ersten Brief hoch. »Dieser Brief fängt mit einer Beschreibung der Vorwürfe gegen Anne Whittle an. Der nächste Brief zitiert die Vorwürfe gegen ihre Tochter. Beide sind Vorfahrinnen von Sarah. Und dann sieh dir den dritten Brief an, den ich recherchiert habe.« Ich hielt den Ausdruck hoch, mit dem ich gearbeitet hatte. »Hier finden wir in abgewandelter Form den Schuldspruch in diesem Fall, die Schlussfolgerungen des Richters. Also sind wir in der nächsten Phase des Verfahrens.«
»Nur dass Sarah damit eher ein Geständnis ablegt«, warf Katie ein, die meinen Gedankengang erfasst hatte. »Das ist kein Richter, der etwas über sie äußert, sondern sie spricht von sich selbst.«
Ich nickte ernst. »Vielleicht wurden die Briefe deswegen geschickt, um ein Geständnis abzulegen. Sie schreibt einen Brief, um den Vorwurf und den Beweis gegen sie selbst schriftlich festzuhalten. Möglicherweise geschieht das in einer frühen Phase ihres geistigen Verfalls. Erste Anzeichen für Paranoia oder Schuldgefühle. Sie ist noch nicht bereit für ein Geständnis, sie gibt sich nur selbst die Schuld. Aber der Verfall schreitet voran, und sie sucht Absolution in einem Geständnis.«
Katie sah mich aufgewühlt an. Ich spürte, wie sie aus Angst innerlich auf Distanz ging.
»Geht es dir gut?«, fragte ich.
»Ich mache mir Sorgen«, antwortete sie. »Überleg mal, was sie schreibt und wem sie diese Briefe schickt. Warum bekomme ich die Briefe?«
Ich sah ihr in die Augen und konnte die in ihnen liegende Angst und Sorge deutlich erkennen. »Ich weiß es nicht«, war das Einzige, was ich dazu sagen konnte.
Katie starrte auf die Tischplatte.
Ich neigte mich so weit vor, dass ich ihr wieder in die Augen schauen und sie anlächeln konnte. Es freute mich, dass sie das Lächeln erwiderte. »Sie wird dir nichts tun«, versuchte ich, ihr Mut zu machen. »Sie bittet dich um Hilfe. Glaubst du mir das?«
Schließlich nickte sie und lächelte ein weiteres Mal.
»Jetzt komm, wir habe beide noch zu tun. Du hast dein College, und ich muss meinen Artikel schreiben.«
Während ich meine Sachen zusammensuchte, fragte Katie
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