Hexenbräute
Baumstamm abzweigte und sich wie ein starrer Arm zur Seite hinstreckte.
Der Pfarrer hatte Halt am vorderen Ende des Zweiges gefunden. In einer Astgabel.
Er wartete. Dabei bewegte er so komisch seinen Hals, weil er den Kopf drehte.
Dann schob er sich vor und balancierte mit schräg gestellten Füßen auf dem Zweig.
»Das macht der nicht freiwillig«, flüsterte Suko.
Aber warum tat er das? Wollte er aus dieser Höhe nach unten springen und seiner Gemeinde etwas demonstrieren? Sein Gesicht war bleich. Der Mund stand offen. Er atmete keuchend. Ich glaubte sogar, Schweißperlen auf seinem Gesicht zu sehen. Was dieser Pfarrer tat, das war für mich nicht normal.
Und dann sah ich noch etwas. Bisher war es durch die Blätter verdeckt gewesen, aber es war verdammt schlimm. Ich sah den Strick unter dem Ast durchhängen, doch ich sah ihn auch schräg in die Höhe gezogen, und ich sah sein Ende.
Es war eine Schlinge.
Darin steckte der Kopf des Geistlichen. Das heißt, sie umschlang seinen Hals.
Es gab keinen Zweifel, was der Mann vorhatte. Vor den Augen seiner Gemeinde würde er vom Zweig nach unten springen und so einen spektakulären Selbstmord verüben.
Noch hielt er das Gleichgewicht. Er hatte sich breitbeinig auf den Ast gestellt. Er starrte gegen den Erdboden.
»Nein, verdammt!«, schrie ich. »Tun Sie es nicht!«
Der Ruf schwang noch als Echo in der Luft, als der Pfarrer einfach sprang...
***
Es war eine schlimme Szene, die ich sehr deutlich miterlebte. Ich bahnte mir einen Weg durch die Gaffer und ging dabei nicht eben rücksichtsvoll vor. Ich wuchtete die Körper zur Seite und bekam dabei den Eindruck, den Sprung des Pfarrers wie zeitverzögert mitzuerleben.
Seine dunkle Soutane blähte sich auf dem Sprung nach unten auf. Ich wunderte mich darüber, dass Suko seinen Stab nicht einsetzte, aber auch für ihn war die Zeit zu kurz. Ebenso wie für mich, denn die mir im Weg stehenden Menschen waren keine Grashalme. So leicht ließen sie sich auch nicht zur Seite schieben.
Ich sah den Pfarrer fallen – und ich sah, wie sich das Seil straffte. In einem Anfall von Optimismus hoffte ich, dass der Zweig brechen würde. Das passierte nicht. Dafür besaß das Seil genau die richtige Länge. Der Pfarrer schlug nicht mit den Füßen gegen den Boden. Etwa in Kniehöhe wurde sein Fall gestoppt, und dann baumelten seine Füße über den Boden.
Eine Sekunde später war alles anders. Da ging es nicht nur um den Pfarrer, sondern auch um die Gaffer, die plötzlich losschrien und in die Hände ’klatschten.
Ich begriff die Welt nicht mehr. Hier verübte ein Kirchendiener Selbstmord, und die Mitglieder seiner Gemeinde schauten zu und spendeten sogar Beifall!
Die Gedanken wischten aus meinem Kopf weg, denn jetzt musste ich mich um den Mann kümmern. Ich hoffte, dass ihm die Schlinge nicht das Genick gebrochen hatte. Es war kein fachmännisches Erhängen gewesen. Wer so fiel, der erwürgte sich eher und starb dabei einen grässlichen Tod. Aber daran wollte ich nicht denken.
Plötzlich war Suko neben mir. Wir brauchten uns nicht abzusprechen. Jeder von uns wusste genau, was er zu tun hatte. Wir griffen zu und hievten die Gestalt in die Höhe.
Suko hielt die dann fest und ich kämpfte damit, den verdammten Strick von seinem Hals wegzuzerren. Ob er noch lebte, hatte ich noch nicht feststellen können, ich hoffte es für ihn.
An dem rauen Hanf riss ich mir beinahe die Haut an den Fingerkuppen auf. Dafür lockerte sich auch die Schlinge. Sekunden später streifte ich sie über den Kopf des Pfarrers.
Suko hielt den Mann auch weiterhin fest. Er kippte ihn mir entgegen. Gemeinsam legten wir ihn auf den Rücken. Erst jetzt konnten wir feststellen, ob er noch lebte.
Ja, es war der Fall!
Er war auch nicht bewusstlos, doch er befand sich in einem ungewöhnlichen Zustand zwischen Wachsein und Wegtreten. Er holte auch Luft. Nur war es nicht mit einem normalen Atmen zu vergleichen. Das hier musste man als schreckliches Röcheln und Keuchen ansehen. Die Farbe im Gesicht des Pfarrers schwankte zwischen rot und blass.
Mir war ein Stein vom Herzen gefallen. Ich wusste den Mann bei Suko in guten Händen und erhob mich, denn mir kam es auf die Menschen an. Ich wollte herausfinden, warum sie dem Mann nicht geholfen hatten.
Ich hatte mir eine Lücke geschlagen, die es jetzt nicht mehr gab. Die Bewohner hatten wieder ihre alten Positionen angenommen. Dass Frauen zuschauten, okay, das nahm ich noch hin. Dass die Menschen jedoch ihre Kinder
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