Hexenfluch: Roman (German Edition)
tötet?« MacCannan war ebenfalls aufgestanden. »Nur ein Anruf, Dr. Thorens. Verabreden Sie sich mit ihm. Und den Rest überlassen Sie uns. Ich schwöre Ihnen, wenn Christian Havreux nicht Havebeeg ist, wird ihm nichts geschehen. Aber wenn er es ist, müssen Sie uns die Möglichkeit geben, ihn zur Verantwortung zu ziehen.«
Ella schnappte fassungslos nach Luft. »Sie erwarten wahrhaftig, dass ich ihn verrate«, flüsterte sie atemlos.
32
Kristen wartete, bis Mikah die Tür zu dem kleinen Apartment hinter sich geschlossen hatte, bevor er das letzte Stockwerk in Angriff nahm. Damit musste er sich zumindest für den Moment keine Gedanken mehr um den Kleinen machen. Oder seinen Blick ertragen.
Er war müde. Nein, nicht müde. Ausgebrannt. Nicht mehr als eine leere Hülle. Seine Hand auf dem gedrechselten Geländer schien Zentner zu wiegen, während er Stufe um Stufe hinaufstieg. Schleppend. Warum wurde er das Gefühl nicht los, dass diesmal eine heiße Dusche nicht ausreichen würde, um sich wieder sauber zu fühlen? Halbwegs wenigstens.
Es war nicht das erste Mal, dass er drei Hexen gleichzeitig bedient hatte. Beileibe nicht. Aber es war das erste Mal, dass er alles getan hatte, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Um sie den Jungen vergessen zu lassen. Und dass er dabei in einem fort hatte schreien wollen.
Am Anfang hatte er noch darüber nachgedacht, ob es eine Möglichkeit gab, die junge Hexe davonkommen zu lassen. Das erste Mal in all den Jahrhunderten. Sie war zurückhaltend gewesen. Hatte im Vergleich zu ihren ›Freundinnen‹ beinah verletzlich gewirkt. Zuerst. Aber dann hatte sie sich Mikah zugewandt … Als er ihr Interesse endgültig von dem Kleinen weg, auf sich gelenkt hatte, hatte sie ihm gezeigt, dass sie keinerlei Mitleid verdient hatte. Ihr machte Spaß, was sie tat. Ebenso wie den anderen beiden Weibern.
Ihre Hände auf seiner Haut, ihre Lippen, Berührungen, Keuchen, Stöhnen, wie sie sich an ihm gerieben, unter ihm aufgebäumt hatten … Diesmal war es ekelerregender als jemals zuvor gewesen.
Die letzten Stufen. Er schloss die Augen.
800 Jahre. Kälte. Keine Gefühle.
Wenige Wochen. Eine einzige Nacht. Vorbei war es mit der Mauer aus Zynismus und Grausamkeit, die ihn diese unendlich lange Zeit hatte überleben lassen.
Egal, was er getan hatte, er hatte immer nur eins vor Augen gehabt: Den Ausdruck auf Ellas Gesicht, als sie ihn mit diesen drei Weibern auf der Tanzfläche gesehen hatte.
Fassungslosigkeit.
Schmerz.
Trauer.
Und dann hatte sie sich umgedreht und war … geflohen. Ein anderes Wort gab es nicht dafür.
Er hatte ihr nachlaufen wollen. Ihr alles erklären wollen. Ihr gestehen wollen, was für ein Spiel er mit ihr spielte. Gespielt hatte. Und vor allem: Wie viel mehr für ihn daraus geworden war. Er hatte es nicht getan. Weil er sie damit noch viel mehr in Gefahr gebracht hätte, als er es ohnehin schon getan hatte; als es dieser kurze Augenblick in diesem elenden Club getan hatte. Zu sehen, wie sie davongelaufen war … Ein Messer in die Eingeweide wäre gnädiger gewesen.
Die letzte Stufe.
War es nicht das, was er gewollt hatte? Ihr so weh zu tun, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte? Nach dem Schmerz auf ihren Zügen, in ihren Augen zu schließen, hatte er es geschafft. Wenn er Glück hatte, würde sie einfach auflegen, wenn er versuchte, sie noch einmal anzurufen. Bitter verzog er den Mund. Wenn er Glück hatte … Glück … Glück war relativ. Sie wusste, was sie wissen musste, um wieder als Ärztin zu arbeiten und nicht entdeckt zu werden, wenn sie ihre Gabe einsetzte. Sie musste sich nur aus den Schatten fernhalten. Alles, was er noch tun musste, war, dafür zu sorgen, dass sie L.A. verließ, bevor das Pentagramm sich schloss, und an eine Klinik an der Ostküste ging. Oder gleich an eine in Europa. Nicht direkt. Nur indirekt. Wenn sie so wütend auf ihn war, wie er hoffte, durfte sie nie auch nur argwöhnen, dass er etwas damit zu tun haben könnte. Er zog die Schlüsselkarte aus der Hosentasche. Zumindest nicht, bis sie L.A. endgültig hinter sich gelassen und sich an einem anderen Ort weit entfernt ein neues Leben aufgebaut …
Abrupt blieb er stehen, die Hand schon nach dem Schloss ausgestreckt. Die Tür war nur angelehnt. Das war nicht möglich! Es sei denn … Er zwang sein Herz, ruhig und gleichmäßig zu schlagen, biss die Zähne zusammen und stieß die Tür auf.
Grelles Licht.
Stille.
Lyresha saß an seinem Schreibtisch,
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