Hexenfluch: Roman (German Edition)
weiter.
»Nein?« Ihre Kralle bohrte sich in seine Haut. Gemächlich zog sie sie abwärts. Er verbiss sich das scharfe Luftholen. Am obersten Knopf seines Hemds stoppte sie, hob die Hand, betrachtete sein Blut an ihrem Fingernagel. Sekundenlang. Wischte es an seiner Wange ab. »Nein?« Sie stemmte die Unterarme auf seine Schultern, strich mit den Lippen über seinen Kiefer, sog sein Ohrläppchen zwischen die Zähne. »Sicher?«
Noch immer schweigend schob er die Hände zwischen sie, knöpfte langsam sein Hemd auf.
Zog es aus dem Bund. Der Stoff klaffte auseinander.
Er löste den Gürtel.
Den Knopf seiner Hose.
Griff nach dem Reißverschluss.
»Wie du willst.« Nur ein Hauch, direkt an seinem Ohr. Er konnte das Lächeln in ihrer Stimme hören.
Das, was von dieser Nacht übrig war, würde sehr schmerzhaft werden.
Und sie würde keine Gnade kennen.
33
Der Wind war eiskalt. Riss mit mörderischer Kraft an seinen Haaren, seinen Kleidern. Tief unter ihm gischtete das Meer am Fuß des Witte Kliff. Im Dorf brannte das Haus seines Vaters noch immer.
Tot.
Alle tot.
Line.
Peer.
Der Vater.
Das ganze Gesinde.
Alle.
Alle tot.
Und es war seine Schuld!
Seine allein!
Ein Schritt. Ein einziger Schritt über die Kante. Er spürte das Zerren des Bannfluchs auf seiner Haut. Den Schmerz, der ihn auf dem Weg hierher immer wieder in die Knie gezwungen hatte. Der ihn in den letzten Tagen wieder und wieder vor ihr in die Knie gezwungen hatte. Der ihn gezwungen hatte, Meter um Meter hierher auf Händen und Knien zurückzulegen. Der ihn zurückzerren wollte. Zu ihr . Wie einen Hund an der Kette. Schmerz. Jenseits des Erträglichen. – Und er spürte Majte. Ihre Berührung. Sein Kind. Glaubte, sie weinen zu hören. Seinen Namen flüstern zu hören.
Nur seinetwegen hatten sie sterben müssen.
»Verzeih mir! Heiliger Gott, verzeih mir, liebstes Herz!« Der Wind riss die Worte von seinen Lippen. Er würde nicht sein, was sie aus ihm machen wollte. Niemals! Auch wenn er dafür in der Hölle brannte: Majte und sein Kind würden frei sein!
Unter ihm donnerte die Brandung gegen das Kliff.
Ein einziger Schritt über die Kante.
Er fiel ohne einen Laut.
Scharfer Wind. Beißend.
…
Eine Betonwand neben seiner Schulter. Unter seiner Wange … Kies.
…
Seine Hände waren klebrig. Wie der Rest von ihm.
Ihm war kalt.
Kalt.
…
…
Seine Augen waren offen. Wie lange schon? Er starrte stumpf auf reinweiße Kiesel. Wie lange schon? Sein Gehirn verweigerte die Antwort. Die Steine drückten sich in seine Wange. Seltsamerweise spürte er sie nicht. Oder nur vage. Im Moment war da nichts als dumpfe Benommenheit.
Sollte er dankbar dafür sein?
Gut möglich.
Über ihm stand die Sonne am Himmel. Einem höhnisch blauen Himmel.
Er zitterte am ganzen Körper. Unkontrolliert. Wie lange schon? Auch darauf: keine Antwort. Der Teil seines Verstandes, der wenigstens noch rudimentär funktionierte, mutmaßte, dass es nichts oder zumindest nicht nur mit dem scharf-beißenden Wind zu tun hatte, der immer wieder über ihn hinwegfegte. Sondern mit … der Lache aus Blut, in der er lag. Seinem eigenen, zweifellos. Anscheinend hatte er einen Schock. Das würde auch erklären, warum er nichts spürte.
Wollte er wissen, was unter der Benommenheit lag?
Nein.
Er würde es früh genug herausfinden.
Mühsam hob er die Wange von den Kieseln, wandte den Kopf. Ein kleines Stück. Die Sonne gleißte in einer Fensterfront ein paar Meter entfernt. Der Fensterfront, die zu seinem Penthouse gehörte. Im obersten Stock des Havreux Tower. Sein Magen krampfte sich zusammen. Er war draußen, auf dem Dachgarten. Direkt an der steinernen Brüstung, hinter der es in die Tiefe ging. Schlagartig brach ihm der kalte Schweiß aus.
Er hatte keine Ahnung, wie er hierhergekommen war.
Das Letzte, woran er sich erinnerte, war … Nein, er wollte sich nicht erinnern! Diesmal nicht. Nicht daran. Schlagartig füllte Galle seinen Mund, zu schnell, als dass er sie noch einmal hätte herunterschlucken können. Er schloss die Augen, nachdem sie zwischen den Steinen versickert war. Öffnete sie nach einer schieren Ewigkeit wieder. Vielleicht war ihm die Tiefe nach den Stunden unter Lyreshas Klauen irgendwann wie ein Ausweg erschienen. Für einen kurzen Augenblick zumindest. – Sie war es damals nicht gewesen und würde es auch heute nicht sein.
Der Schmerz kam, als er sich schwerfällig an der Mauer entlang in die Höhe kämpfte. Mit einem Laut, mehr Winseln
Weitere Kostenlose Bücher