Hexenfluch: Roman (German Edition)
als Keuchen, taumelte er vornüber, wäre fast direkt wieder in die Knie gebrochen, fing sich gerade noch und richtete sich endgültig auf. Abermals war Galle in seinen Mund gestiegen. Diesmal schaffte er es, sie zurückzuwürgen. Ihm war übel und schwindlig.
Ohne einen Blick hinter sich zu werfen, stolperte er auf die Glasfront zu, die sperrangelweit offen stehende Tür in ihr. Für diesen kurzen Moment wollte er nur eins: runter von der Terrasse! Sofort! Nur nicht mehr den gähnenden Abgrund im Nacken haben. Er wusste nicht, wie er seine Beine dazu brachte, seinem Willen zu gehorchen und sich zu bewegen. Die weißen Kiesel gruben sich in seine nackten Fußsohlen.
Seine Kleider klebten ihm auf dem Körper. Blut verbacken mit der Haut, den Wunden darin. Er konnte sich nicht erinnern, sich wieder angezogen zu haben. Danach. Aber er tat es immer. Weil er sich an einen letzten Rest von Stolz klammerte. Jedes Mal. Wenn sie mit ihm fertig war, zog er sich wieder an. Egal, wie viel von seinen Sachen noch übrig war. Punkt. So einfach war das. Also hatte er es wohl auch diesmal getan. Aus reiner Gewohnheit.
Am Türrahmen hing Blut, ebenso an der Scheibe, war auf den Bodenfliesen, dem Teppich. Er nahm es nur flüchtig wahr, während er durch den Raum wankte, zur Treppe, ins Bad; auf den Stufen immer wieder stolperte und auf die Knie fiel. Sich am Geländer immer wieder hochzog, nahezu blind vor Schmerz. Wenn er liegen blieb, würde er in absehbarer Zeit weder die Kraft noch den Willen haben, aufzustehen. Blut rann ihm unter dem Hemd über Brust und Rücken. Und das Letzte, was er wollte, war, dass ihn irgendjemand so fand.
Am Ende sie.
Er sah nicht in den Spiegel, taumelte einfach nur in die Dusche und drehte das Wasser auf. Machte sich nicht die Mühe, sich vorher auszuziehen. Wenn er Glück hatte, weichte das Wasser das getrocknete Blut auf. So weit, dass er die Krallenwunden nicht noch weiter aufriss, als er es in den letzten Minuten ohnehin schon getan hatte, wenn er sich irgendwann dann doch auszog. Das Zittern wollte nicht nachlassen. Oder aufhören. Er schob den Regler weiter nach links. So weit, wie er es gerade noch ertragen konnte. Das Wasser, das um seine Füße plätscherte und in den Abfluss gurgelte, war rot. Wieder füllte Galle seinen Mund. Er spuckte sie aus.
Seine Hände bebten noch immer, als er sich endlich dazu durchrang, das Hemd aufzuknöpfen. Loch für Loch. Erst beim Letzten fiel ihm auf, dass es falsch zugeknöpft gewesen war. Er brauchte noch einmal Sekunden, ehe er sich dazu überwinden konnte, sich weiter aus seinem Hemd zu schälen. Langsam. Millimeter für Millimeter. Trotzdem musste er immer wieder innehalten und keuchend zu Atem kommen, weil sich das getrocknete Blut noch nicht genug gelöst hatte.
Der Laut, der über seine Lippen kam, als er es endlich neben sich auf den Boden fallen ließ, klang selbst für ihn wie ein Schluchzen.
Ebenso mühsam streifte er die Hosen ab – über Gesäß und Oberschenkel klebte der Stoff genauso an den Wunden, wie das Hemd es an Schultern und Rücken getan hatte – und trat sie von sich. Seine Knie waren weich.
Nach wie vor zitternd stemmte er die Hände gegen die schwarzen Fliesen. Natürlich waren die Linien des Bannfluchs unversehrt. Obwohl die Haut darunter es nicht war.
Das Wasser, das ihm in den Mund rann, schmeckte salzig.
Kristen schloss die Augen und ließ den Kopf zwischen die Arme sinken. In 800 Jahren hatte sie ihn mit all ihren Quälereien und Spielchen nicht zerbrechen können. Warum fühlte es sich dann jetzt so an, als sei er nur noch einen Atemzug davon entfernt? Warum? Seine Fingernägel kratzten über die Fliesen, als er die Hände zu Fäusten schloss. Weil er gehofft hatte, sich endlich befreien zu können? Das konnte es doch nicht sein. Nicht nur. Was dann? Was war letzte Nacht geschehen? Er wollte sich nicht erinnern. Zumindest nicht an das, was gekommen war, nachdem sie damit fertig war, ihm das Blut von der Brust zu lecken, und ihn aus dem Schreibtischsessel gezogen hatte. Beinah … spielerisch. – Als er es doch versuchte, waren da nur Bilder, Gefühle … Kurz. Grell aufflammend wie unter einem Blitzlicht. … Die kühlen Fensterscheiben unter seinen Handflächen … Der Flor des Teppichs an seinem Rücken, zwischen seinen Fingern … Der Nachthimmel jenseits des Glases … Und Schmerz. Über dem Rest lag noch gnädige Schwärze.
Aber warum glaubte er, irgendwo zwischen alldem Ellas Stimme zu hören?
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