Hexenfluch: Roman (German Edition)
streifte ihren Handrücken. Seide. Er trug ein Hemd aus … Seide? Die Farbe war zu dunkel, als dass Ella sie erkennen konnte. Schwarz?
Offenbar hatte er weder ihre Berührung noch ihr Erstaunen bemerkt, denn er hatte bereits wieder kehrtgemacht und war auf dem Weg zurück zum Hauseingang. Einen kurzen Moment sah sie seine Silhouette scharf vor der Dunkelheit jenseits ihres Verstecks. Auch die Hosen waren schwarz, leicht glänzend. Leder? Eng. Sehr eng. Ein Outfit, das so gar nicht zu einem erfolgreichen Geschäftsmann passte … Nein. Ihre Sinne mussten ihr einen Streich gespielt haben. Mit zusammengebissenen Zähnen schob sie die Hände durch die Ärmel. Ihr Arm pochte. Die Schiene blieb im Stoff hängen. Mühsam befreite Ella sie wieder und rückte die Jacke endgültig zurecht. Wobei ›Jacke‹ es eigentlich nicht traf. Vielmehr war es eine Mischung aus Trenchcoat und altmodischem Gehrock. Auf jeden Fall deutlich länger als eine gewöhnliche ›Jacke‹. Und aus so wunderbar weichem Leder, dass allein das Darüberstreichen sich wie eine Liebkosung anfühlte. Nach dem herb-würzigen Männerparfum zu schließen, dessen Duft darin hing, musste Havreux sie ziemlich häufig tragen. Sie zog sie enger um sich, versuchte den Rest von Havreux’ Körperwärme zu nutzen, um mit dem Zittern aufhören zu können. Etwas drückte auf der rechten Seite hart gegen ihre Rippen. Vorsichtig tastete sie danach. Und zog die Hand hastig wieder zurück. Ein Messer. Oder ein Dolch. Mit einer Klinge so lang wie ihre Hand. Ein Stück darunter, in der Außentasche, war irgendetwas Kleines, das erstaunlich schwer war. Ein … Stein?
Sie schrak gegen die Wand des Hauseingangs, als ganz in der Nähe ein Heulen erklang. Auf das ein Schrei folgte. Und ein zweiter. Wieder ein Heulen. Näher. Sie presste sich fester gegen die Mauer. Der Laut endete abrupt. In der plötzlichen Stille schien ihr Herz noch viel lauter zu schlagen, als es das ohnehin schon getan hatte. Schritte. Ein Schatten schälte sich aus der Dunkelheit vor dem Hauseingang. Havreux. Er streckte ihr die Hand entgegen.
»Kommen Sie, Dr. Thorens. Das nächste Tor ist nicht weit. Für den Moment sind wir das Mistvieh zwar los, aber wir sollten dennoch zusehen, dass wir von hier verschwinden.«
»Mistvieh?« Nur sehr zögernd löste Ella sich von der Wand und ging auf ihn zu.
»Mistvieh. – Ich beschreibe es Ihnen später, wenn Sie es dann immer noch genau wissen wollen, aber jetzt müssen wir erst mal wieder auf die andere Seite. Wir sind nach wie vor alles andere als allein hier.«
Ihren erschrockenen Blick quittierte er mit einem kurzen, spöttischen Kräuseln der Lippen. »Ich kann außer uns noch mindestens zwei weitere Hexer in mehr oder weniger unmittelbarer Nähe spüren. Und ich würde ihnen ungern begegnen.« Er nahm sie wieder am Arm und zog sie mit sich.
»Warum?«
»Ich ihnen ungern begegnen würde?« Er sprach noch ebenso leise wie zuvor. »Weil ich keinen gesteigerten Wert darauf lege, dass bekannt wird, dass es in L.A. eine junge Heilerin gibt, die möglicherweise hochbegabt ist, ihre Gabe aber noch absolut nicht unter Kontrolle hat. Zumindest im Moment noch nicht.« Auch wenn sie nicht mehr rennen musste, um bei seinen Schritten mitzuhalten, hatte er es trotzdem noch immer unübersehbar eilig. »Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn wir diese Unterhaltung verschieben könnten, bis wir wieder auf unserer Seite der Schatten sind. Einige Kreaturen hier haben ziemlich gute Ohren.«
Ella biss sich auf die Zunge und ließ sich weiterziehen. Vorbei an düsteren Hauswänden, die aus einer anderen Zeit zu stammen schienen. Havreux bewegte sich weiterhin angespannt und wachsam, blieb immer wieder stehen. Einmal schob er sie ohne Vorwarnung zwischen sich und eine Mauer und lauschte eine schiere Ewigkeit, ehe er ihr mit einem Nicken bedeutete weiterzugehen. Schneller als bisher. Drei oder vier Mal glaubte Ella, ganz in der Nähe Schritte zu hören. Jedes Mal legte Havreux einen Finger auf die Lippen, damit sie leise war. Einmal wechselte er hastig die Richtung.
Wieder eine Ecke. Havreux führte sie in einen so schmalen Durchgang, dass sie kaum nebeneinander gehen konnten, ohne mit den Schultern die Wände an beiden Seiten zu streifen. In einer Rinne auf dem Boden floss eine ölig schimmernde Brühe. Der Schatten war nur einer von vielen, die sich entlang der Hauswand drängten. Havreux’ Griff wurde fester, als er sie mit einem Nicken durch ihn
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