Hexenfluch: Roman (German Edition)
stieß Ella ein Schnauben aus, folgte ihm um die Schnauze des Impala herum und stieg ein. Havreux schloss ihre Tür, wechselte auf die Fahrerseite zurück und ließ sich elegant auf den Sitz gleiten. Oder versuchte es. Offenbar hatte er vergessen, dass seine Beine deutlich länger waren als ihre. Er brauchte eine Sekunde, bis er den Hebel gefunden hatte, um den Sitz zurückschieben zu können. Den Blick, den er ihr dabei zuwarf, ignorierte Ella.
Gleich darauf sprang ihr Wagen mit seinem üblichen Brummen an. Die CD in der Stereoanlage erwachte zum Leben. Die letzten Takte von Phil Collins’ Another Day in Paradise drangen aus den Lautsprechern. Ella lehnte sich ein wenig tiefer in ihren Sitz. Er hatte recht: Sie war müde. Und trotzdem wollte sie Antworten.
Sie ließ den Kopf gegen die Kopfstütze sinken, drehte ihn Havreux zu. »Bekomme ich meine Antwort jetzt?«
Er musterte sie kurz, bevor er abbog. »Sie sind gar nicht hartnäckig, was?«
»Mistvieh«, gab sie ihm sein Stichwort.
Havreux lachte. »Okay, Sie haben gewonnen.« Er warf einen schnellen Blick über die Schulter und wechselte die Spur. »Das ›Mistvieh‹ wird auch Schattentrinker genannt. Nichts, aber auch gar nichts, was auch nur einen Funken der Gabe oder einen Hauch Leben in sich trägt, ist vor den Biestern sicher. Noch nicht einmal Geister.«
»Geister? Sie wollen mir erzählen, dass es Geister gibt? – Und dass sie … lebendig sind?«
»In gewisser Weise. Das ist zumindest die allgemeine ›Lehrmeinung‹. Letztlich muss es etwas geben, das ihr endgültiges Vergehen für eine gewisse Zeit verhindert. Selbst in den Schatten.« Wieder sah er zu ihr. »Die Biester jagen wirklich alles. Je ›lebendiger‹, umso schwieriger sind sie abzuschütteln. Und wo eines von den Mistviechern ist, ist das nächste nie besonders weit.« Havreux bog wieder ab. »Andererseits ist es ihnen aber auch herzlich egal, ob sie ihresgleichen fressen oder ein anderes … ›Wesen‹.« Vor ihnen sprang die Ampel auf Gelb. Havreux gab Gas. Unwillkürlich packte Ella den Türgriff. Sie passierten die Haltelinie in dem Moment, als Gelb auf Rot wechselte. Auf der anderen Seite der Kreuzung ließ er ihren Impala wieder langsamer werden und schaute eindeutig belustigt zu ihr herüber. Ella verkniff sich jeden Kommentar. Mit einem feinen Lächeln wandte Havreux seine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu. »Was mir mehr Sorgen macht, sind die beiden Hexer, die außer uns dort waren. – Und vor allem das, was da möglicherweise noch herumgekrochen ist, ohne dass ich es bemerkt habe.«
»Warum?« Ella zwang sich, den Türgriff wieder loszulassen.
Ein schneller Blick aus dem Augenwinkel. »Man konnte Sie spüren, Dr. Thorens. Ziemlich gut. Ich hatte Ihnen gesagt, dass jemand wie Sie Begehrlichkeiten weckt. Sie erinnern sich? Ich habe zwar versucht, Ihre Gabe unter meiner verschwinden zu lassen, aber ich kann nicht sagen, wie erfolgreich ich damit war.«
»Ist denn absolut sicher, dass diese beiden mich … gespürt haben?«
»Da halte ich jede Wette.« Havreux blickte kurz in den Rückspiegel. »Aber mindestens ebenso große Sorgen macht mir die Frage, wer außer den beiden Sie noch gespürt hat.«
»Warum? Wegen dieser … Dämonen?«
»Genau. – Ich nehme an, Sie hätten ungern ein Kopfgeld auf sich ausgesetzt, Dr. Thorens. Vor allem, da es in den seltensten Fällen wirklich lang dauert, bis es eingefordert werden kann.«
Ella sah aus dem Fenster, beobachtete die Menschen, die noch auf der Straße waren, die Lichter, die Autos … Dämonen. Hexer. ›Schattentrinker‹. Und wusste der Himmel, was es sonst noch gab.
»Ella? Alles klar?« Havreux’ Stimme ließ sie zusammenzucken.
Alles klar? Das war ein Scherz. Nein. Es war nicht alles klar. Sie drehte sich zu ihm um. »Sie reißen mein Leben in Stücke und fragen mich allen Ernstes, ob alles klar ist? – Nein! Nein, es ist nicht alles klar! Ich will mit alldem nichts zu tun haben. Aber ich weiß nicht, wie ich aus dieser Sache wieder herauskomme.« Sie schüttelte den Kopf, ohne genau sagen zu können, ob aus Ärger oder Verzweiflung. »Nein, es ist nicht alles klar! Ich will nicht das Objekt der Begierde von allem und jedem sein. Ich will mein altes Leben zurück. Dann ist alles klar. «
Seine Miene wurde schuldbewusst. »Es tut mir leid. Glauben Sie mir, wenn ich könnte, würde ich alles wieder rückgängig machen. Aber ich verspreche Ihnen, ich werde tun, was in meiner Macht steht, um Sie zu
Weitere Kostenlose Bücher