Hexenfluch: Roman (German Edition)
wanderten nach oben … Quer über dem linken Schulterblatt hatte er eine wulstige Narbe, wie von einer tiefen Hieb- oder Schnittwunde. Wer auch immer sie genäht hatte, hatte entweder von dem, was er da tat, keine Ahnung gehabt oder war ein elender Pfuscher gewesen … Knapp unter dem Knochen eine kürzere Narbe, nur vier oder fünf Zentimeter, wie von einem mehr oder weniger senkrechten Stich … Sie strich darüber. Havreux keuchte.
Sie blinzelte, es war, als würde sie aus einer Trance erwachen. Und zog abrupt die Hand zurück. Lieber Himmel, hatte sie ihn eben tatsächlich … angetatscht, als wäre er nur … nur … nur … als wäre er nur irgendein lebensechtes, anatomisches Modell? Sie musste komplett übergeschnappt sein … – Aber er hatte sich so wahnsinnig gut angefühlt … Mit einer brüsken Bewegung schüttelte sie den Kopf, brachte mehr Abstand zwischen sich und ihn. »Zufrieden?« Was war nur in sie gefahren? Wie hatte das nur passieren können? Seine Haut, das kaum merkliche Spiel seiner Muskeln unter ihrer Hand … Hör auf damit, Thorens! Du willst nichts von ihm, er will nichts von dir!
Er hatte sich halb zu ihr umgedreht und musterte sie, eine Braue ganz leicht gehoben. Warum war sie eigentlich sauer auf ihn? Sie ballte die Fäuste, wollte an ihm vorbei zum Sofa zurück. »Ich würde sagen, Test bestanden, oder?«
»Noch nicht ganz.« Ehe sie begriffen hatte, was er meinte, war er endgültig zu ihr herumgefahren, hatte von hinten die Arme um ihre Mitte gelegt und sie hart, geradezu grob an sich gerissen. Ellas erschrockener Schrei wurde zu einem Keuchen. Für eine Sekunde hatte sie keinen Boden unter den Füßen. Instinktiv stemmte sie sich gegen seine Umklammerung. Seine Arme lagen auf ihrem Bauch, drückten gegen ihre Rippen. Ihr T-Shirt war in die Höhe gerutscht. Seine nackte Brust presste sich an ihren Rücken. Sie spürte seine Haut an ihrer … Schlagartig war ihr heiß.
»Und Ihre Barriere steht noch immer. Sehr gut. Dann können wir ja einen Schritt weiter gehen.« Er ließ sie an seinem Körper entlang abwärtsgleiten, bis sie wieder auf ihren eigenen Füßen stand, ließ sie los, drehte sie in der Bewegung zu sich um. Und hielt sie an beiden Armen fest, als sie einen Moment lang wankte.
Sie starrte ihn an, atemlos, wütend … »Das … das …«
Wieder zuckte dieses Lächeln um seine Lippen. Oh ja, er wusste genau, dass er sie eiskalt erwischt hatte. Und dass sie es hasste. »Ich will, dass Sie sie verankern.«
»Was?« Warum zum Teufel hörte sie sich an, als hätte sie einen 200-Meter-Sprint hinter sich? Und wieso konnte er klingen, als wäre es etwas ganz Normales, jemanden so abrupt an sich zu reißen?
»Verankern Sie Ihre Barriere in Ihrem Geist. Sie muss der Normalzustand sein. So selbstverständlich wie das Atmen. Dass Sie sie senken, muss die bewusste Aktion werden. Andersherum müssen Sie sich permanent auf ihre Existenz konzentrieren. Und das kann Ihre Psyche auf Dauer nicht leisten. Zumindest nicht, ohne an anderer Stelle zu versagen. Oder Schaden zu nehmen.«
Ella leckte sich die Lippen, noch immer damit beschäftigt, einen auch nur halbwegs klaren Gedanken zu fassen. »Wie?«
Für den Bruchteil einer Sekunde zuckte das Lächeln erneut in seinem Mundwinkel. »Das zeige ich Ihnen jetzt.« Er bückte sich nach seinem Hemd, wies zur Couch. »Setzen Sie sich, Ella.«
17
Mitanzusehen, wie Mr. Martinez die Hand seiner Frau mit seinen beiden so viel größeren umklammerte und sich gleichzeitig verzweifelt bemühte, vor seinen Kindern die Tränen zurückzuhalten, zog Ellas Brust zusammen. Er kam jeden Tag zwei Mal hierher ins Krankenhaus. Beim ersten Mal brachte er ihre beiden Mädchen mit, Cherry und Susann, vier und sechs, die ihrer Mommy jedes Mal unzählige selbstgemalte Bilder zeigten und ihr erzählten, wie sehr sie sich darauf freuten, dass sie bald wieder zu ihnen nach Hause kommen würde. Noch hatte Rodrigo Martinez es nicht über sich gebracht, ihnen die Wahrheit zu sagen. Beim zweiten Mal kam er allein. Und saß dann nur stumm am Bett seiner Frau, ihre Hand in seinen, während sie im gnädigen Morphium-Schlaf vor sich hin dämmerte.
Über Cherrys dunklen Schopf hinweg trafen sich ihre Blicke. Marisol Martinez lächelte schwach. Schmerz und Müdigkeit standen in ihren Augen. Aber sie wollte wach sein, wach und bei Sinnen, wenn ihre Mädchen sie besuchen kamen, wollte jede Minute mitnehmen, die ihr noch blieb, solange sie es noch
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