Hexenfluch: Roman (German Edition)
unterdrücken. Auf ihre halb scherzhafte Frage: »Und wie lange haben Sie nicht mehr geschlafen?«, hatte sie ein zerknirschtes Lächeln und ein »Zu lang« als Antwort bekommen. Inzwischen war ihm die Müdigkeit nach und nach immer deutlicher anzusehen. Ebenso langsam war er kaum merklich in seiner Sofaecke immer mehr in die Horizontale gerutscht.
Der Tisch war ein Schachtel-Schlachtfeld. Mit den Resten hätten sie einen Abend wie diesen noch mindestens zwei Mal wiederholen können.
Gerade versank auf dem Bildschirm ganz Las Vegas in Dunkelheit. Gleich würden George Clooney und Matt Damon sich den Fahrstuhlschacht hinunter abseilen. Und beim Boxkampf und im Kasino würde das Chaos ausbrechen.
Ella drückte sich aus ihrer Sofaecke in die Höhe, um in die Küche zu gehen und sich noch etwas zu trinken zu holen. Havreux’ Flasche stand schon seit einer ganzen Weile unberührt auf seiner Seite des Tischs. Sie griff danach … Leer. »Noch eins?« Beiläufig sammelte sie ein paar der ebenfalls leeren Schachteln ein.
Er sah sie an und blinzelte. »Hm? Entschuldigung. Was?« Die Worte kamen irgendwie … unscharf.
In einer fragenden Geste hob Ella die Flasche. »Noch ein Bier? Oder etwas anderes?«
Ein Kopfschütteln, gefolgt von einem hastig unterdrückten Gähnen. »Nein danke.«
In der Küche entsorgte sie den ersten Schwung Schachteln in den Müll. Draußen vor dem Fenster glühten Sushis Augen im Licht auf. Eine gegen die Scheibe gepatschte Pfote und ein stummes ›Mew‹ forderten: »Lass mich rein.« Ella öffnete das Fenster, und Sushis Weg führte über den Spülstein direkt auf ihren Arm. Laut schnurrend drückte sie ihren Kopf gegen Ellas Hals. Sie verstärkte den Druck noch ein wenig, als Ella ihre Wange an das Fell schmiegte. Nur um sich im nächsten Moment aus ihrem Arm zu winden, zu Boden zu springen und in den dunklen Korridor hinaus zu verschwinden.
Ella beförderte auch die restlichen Schachteln in den Müll, holte ein Glas und eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und ging ins Wohnzimmer zurück.
Auf dem Sofa war Christian Havreux endgültig in die Waagerechte gerutscht. Und schlief.
So leise sie konnte, stellte Ella Glas und Flasche auf den Couchtisch, dann sah sie auf ihn hinab. Sein Kopf lag auf der Seitenlehne, die eine Hand hatte er unter Wange und Kinn geschoben, der andere Arm hing halb über den Rand. Die Brauen waren ganz leicht zusammengezogen, eine dünne Falte stand dazwischen. Aber seine Atemzüge kamen tief und entspannt. Sollte sie ihn wecken? Sie schüttelte den Kopf. Nein. Wenn er so müde war, dass er schon auf ihrem Sofa einschlief, konnte sie ihn wohl kaum hinter das Steuer seines Mercedes lassen. Er murmelte etwas – was, konnte sie nicht verstehen – und zog die Beine ein Stück weiter an, als sie näher herantrat und ihr Schatten über ihn fiel, wachte jedoch nicht auf. Ohne einen Laut zu verursachen, griff sie über ihn, nahm die quietschbunte Fransendecke von der Rückenlehne und breitete sie vorsichtig über ihn. Wieder ein Murmeln, eine leichte, irgendwie unruhige Bewegung, dann lag er wieder still. Abermals sah Ella auf ihn hinab, Sekunde um Sekunde. Hatten seine Brauen sich ein klein wenig entspannt oder sogar noch weiter zusammengezogen? Seine Lippen hatten sich auf jeden Fall einen winzigen Spalt geöffnet. Wie sie sich wohl auf ihren anfühlen würden? Weich? Oder eher rau? Hör auf damit, Thorens! Verrückterweise war ihr noch nie aufgefallen, wie lang seine Wimpern waren. Schluss jetzt damit! Mit einer entschiedenen Bewegung griff sie nach der Fernbedienung und schaltete Fernseher und DVD-Recorder aus. Auf dem Weg zur Tür löschte sie das Licht.
Stufe für Stufe stieg sie die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Sushi hatte sich mitten auf dem breiten Bett zusammengerollt, öffnete ein grünes Auge einen Spaltbreit, als wollte sie sagen: »Kommst du auch schon?«, und schloss es gleich wieder.
Ella strich ihr über den Rücken, kramte einen Pyjama aus dem Kleiderschrank, ging kurz ins Bad und schlüpfte schließlich unter die Decke. Sie knipste das Licht aus – und drehte sich auf die Seite, beide Hände unter die Wange geschoben. Das Mondlicht glänzte schwach in dem Spiegel neben der Kommode, warf Schatten gegen die Wand. Sie schienen sich zu bewegen. Stumm beobachtete Ella sie. Und konnte nicht verhindern, dass ihre Gedanken zu dem Mann unten auf ihrer Couch wanderten, sie immer wieder zur Tür lauschte, die sie einen Spalt aufgelassen
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