Hexenfluch: Roman (German Edition)
Medizin studiert?« Sie hatte sich ebenfalls aufgerichtet.
»Mir geht es gut. Ella, Sie müssen sich keine Sorgen machen …«
Ella zischte. »Sagen Sie mir nicht, was ich muss oder nicht.«
Abwehrend hob er die Hände. »Ella, das …«
Sie kniff die Augen zusammen. »Abmarsch in die Küche. Ich will zumindest die Blutung stillen und das Blut abwaschen. Dann sehen wir weiter!«
Sekunden sahen sie einander in die Augen. Sein Blick war … unwillig, beinah … wütend. Das Grau seiner Iris schien dunkler als sonst. Alles an ihm sagte, dass er keinen Zentimeter nachgeben würde … Ella schüttelte kaum merklich den Kopf, seufzte leise.
»Christian … bitte.« Sie versuchte, möglichst sanft zu klingen. »Lassen Sie mich nach Ihrem Kopf sehen.«
Seine Augen weiteten sich, Verblüffung löste Ärger und Wut fast schlagartig ab. Abermals sahen sie einander an. Abermals sekundenlang. Dann nickte er abrupt. Und drückte hastig die Hand gegen die Stirn, verzog das Gesicht. »Also gut. Aber nur kurz. Dann muss ich wirklich gehen.«
Ella schaffte es gerade noch, ihr Aufatmen zu verbergen, bevor sie zur Küche wies. Ein Kräuseln zuckte um seine Lippen, er wandte sich um und ging vor ihr her, ließ sich sogar widerspruchslos auf einem der Stühle beim Tisch nieder.
Im Vorbeigehen hatte Ella ihre Tasche von ihrem Platz bei der Kommode mitgenommen, stellte sie jetzt neben ihn und öffnete sie. Behutsam griff sie ihn am Kinn, drehte sein Gesicht ins Licht. Eine saubere Platzwunde.
»Ich wollte Sie nicht erschrecken.« Wobei ›erschrecken‹ nicht unbedingt das richtige Wort war. Genau genommen hatte sie noch nie jemanden so aufwachen sehen. Sie gab ihm ein Handtuch, damit er verhindern konnte, dass das Blut, das in dünnen Fäden rechts und links an seinem Auge vorbeirann, sich seinen Weg noch weiter abwärts suchen konnte, nahm eine sterile Kompresse aus ihrer Tasche und presste sie auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen. Havreux zuckte zusammen.
»Sie müssen sich nicht entschuldigen, Ella. Ich hätte nicht auf Ihrer Couch einschlafen dürfen. – Geschweige denn die ganze Nacht hier sein.« Er hatte die Zähne zusammengebissen. Ella bedachte ihn nur mit einem beredten Blick.
Die Blutung ließ nur langsam nach. Schließlich wagte sie es, die Kompresse wieder anzuheben … So, wie die Haut auseinanderklaffte, würden ein paar Schmetterlingspflaster nicht reichen. Nähen wäre besser … Drei Stiche … Oder aber … Sie ließ die Hände ein winziges Stück sinken, zögerte, sah ihn an …
»Tun Sie’s.« Es war, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Ihr Blick huschte zu seiner Wange, auf der inzwischen ein tiefvioletter Bluterguss blühte. Der Riss war sauber verschorft. Wie zur Antwort schüttelte er ganz leicht den Kopf. »Meine Stirn, mehr nicht.«
Ella stieß ein unwilliges Brummen aus, während sie die Kompresse auf den Tisch warf. Christian Havreux rührte sich nicht, als sie dann sein Haar zurückstrich, damit es ihm nicht in die Stirn hing, und dann die Fingerspitzen direkt oberhalb der Wunde leicht auf seine Haut legte. Sie holte einmal tief Atem, weckte ihre Gabe, ließ sie durch ihre Barriere sickern, spürte, wie sie gegen seine stieß, unüberwindbar wie eine Mauer, wie er sich ein winziges Stück zurückzog, kaum mehr als einen Hauch, gerade so weit, dass sie das Gewebe in den Tiefen erreichen konnte … Abermals holte sie tief Luft, stieß sie wieder aus. Er sah sie nur an. Plötzlich fiel es ihr schwer, sich unter seinem Blick zu konzentrieren. Sie presste die Zähne aufeinander, zwang sich dazu, ihn zu ignorieren, seinen Blick, seine Anwesenheit; zu vergessen, wer ihr Patient war; stellte sich stattdessen vor, wie sich die einzelnen Gewebeschichten wieder aneinanderschoben, sich schlossen, selbst die letzten Spuren verschwanden …
Havreux’ Hand war an ihrem Ellbogen, als sie die Hände wieder sinken ließ.
»Alles in Ordnung?« Er musterte sie eindringlich.
Abgesehen davon, dass sich ihre Schultern vollkommen verkrampft anfühlten? »Ja.« Er löste seinen Griff erst, als sie einen Schritt zurückmachte. »Alles in Ordnung.« Allerdings war es ihr bei ihren ›normalen‹ Patienten noch nie so schwer gefallen, ihre Gabe zu benutzen. Bei ihm … als würde sie … gegen den Strom schwimmen. Er schwieg, als sie ihm das Handtuch abnahm, es im Spülstein nass machte und ihm das Blut von der Stirn und dem Gesicht wischte. Er sah sie einfach nur an. Wie zuvor. Und wie zuvor fiel
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