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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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keinerlei Hinweise.
    »Gehen wir in dies seltsame Haus«, sagte Raphael.
    Über der Tür, dem einzigen Zugang zu dem Haus, fanden sie wieder Schriftzeichen.
    »Es sind zwei Sprachen«, sagte Raphael. »Die aramäischen Zeichen sagen: Opfere dem Herrn, was dem Knecht Ehre erweist.« Die zweite Inschrift war in lateinischen Buchstaben geschrieben, jedoch ergaben sie keinen Sinn, denn es handelte sich um eine ihm unbekannte Sprache. »Azag-Toth Ta Ardata! Ia Marduk! Ia Asalluchi!«
    »Klingt nach einer Beschwörungsformel«, sagte Luna.
    Raphael nickte. »Doch ich glaube, ich möchte nicht wissen, wem diese Beschwörung gilt. Gehen wir hinein.«
    Der Innenraum war von zwei halb heruntergebrannten Fackeln schwach erleuchtet. Raphael war enttäuscht. Dieser Raum war ebenso leer wie die Kapelle. Kein Tisch, kein Stuhl, kein Altar. Nur in der Mitte des Raumes war eine tiefe Mulde in den Boden eingelassen. Sie war mit Fliesen aus Ton ausgekleidet, die mit Motiven aus dem Neuen Testament bemalt waren. Kleine Mosaiksteinchen, die ein Bild ergaben. Die Mulde bot gut und gern zwei Menschen nebeneinander Platz.
    »Was mag das sein?«, sagte Raphael mehr zu sich selbst. Auch hier kein Hinweis auf die Mönche.
    »Es ist ein Bad«, sagte Luna.
    Verständnislos starrte Raphael sie an. »Ein Bad?«
    »Ja«, antwortete Luna. »Wenn ich hineinschaue, sehe ich Bilder von Männern und Frauen, die hier miteinander Vergnügung fanden.«
    »Was siehst du noch?«
    »Nichts«, sagte Luna. »Die Bilder sind verschwommen. Wie die Oberfläche eines Sees, wenn man einen Stein hineinwirft.«
    Zuerst dachte Raphael nicht weiter über Lunas Bemerkung nach. Dann aber stutzte er. »Bedeutet das, du hast deine Gabe zurückerlangt?«
    Luna schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete sie, »doch sehe ich wieder zusammenhanglose Bilder außerhalb meiner Träume, seit wir die Festung betreten haben.«
    Hoffnungsvoll strich Raphael ihr über den Rücken. »Das ist gut, mein Kind«, sagte er und blickte um sich. »Der Ort hier scheint eine große Spiritualität zu besitzen. Dieser Einfluss wirkt sich augenscheinlich auf deine Gabe aus. Gehen wir nach oben.«
    Eine schmale Treppe führte in den oberen Bereich, der ebenfalls aus einem einzigen Raum bestand. Auch hier kein einziges Möbelstück, sondern nur kahle Wände. Im zweiten Stockwerk das gleiche Bild. So stiegen sie wieder hinunter und setzten sich auf den Rand der Bademulde.
    Raphael drehte an einem Rädchen am oberen Rand der Mulde. Wasser floss langsam daraus. »O Herr!«, rief er aus. »Ich danke dir!« Er beugte sich zu der erbsengroßen Öffnung und trank. Anschließend ließ er Luna ihren Durst stillen; er legte sich neben sie und starrte auf die Fliesen. Er sah das Leben Jesu nachgestellt: Geburt, Taufe, Christus als Lehrenden und die Kreuzigung. Plötzlich fiel sein Blick auf den Rand der Senke. Da waren winzige Schriftzeichen in den Stein eingeritzt!, fuhr es ihm durch den Kopf. »Luna!«, rief er. »Lass mich da hin!«
    Luna sprang zur Seite. »Was hast du entdeckt?«
    Raphael las laut vor, während er auf allen vieren um die Mulde kroch: »Weit bist du gereist, um Erlösung zu finden. Hoch hinauf bist du gestiegen, um Rettung zu erfahren. Doch bist du auch bereit, in die Tiefe deiner Seele zu dringen, um deinem Herrn zu begegnen? Suche den Gesalbten, und der einzig wahre Gott wird sich dir zeigen.« Raphael erhob sich. »Hier endet der aramäische Text. Der Rest steht wieder in der unbekannten Sprache geschrieben.«
    »Hm«, machte Luna. »Ich verstehe das alles noch immer nicht.«
    »Ich auch nicht, mein Kind«, gab Raphael zu. »Sosehr ich auch darüber grübele, ich …« Plötzlich durchfuhr ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. »Moment«, sagte er. »Was stand draußen am Tor geschrieben?«
    »Die Klarheit des Geistes führt über die Reinheit des Körpers«, sagte Luna.
    »Und du sagtest, dies wäre ein Bad.« Er zeigte auf die Mulde. »Am Eingang zu diesem Gebäude steht geschrieben: ›Opfere dem Herrn, was dem Knecht Ehre erweist.‹ Der Herr weilt weit oben über uns im Himmel. Das höchste Geschöpf all überall. Der Knecht hingegen steht weit unten. Ein Stallbursche. Nichts weiter. Die Worte um die Mulde führen das Rätsel fort, indem sie sagen, man solle in die Tiefe dringen. Es ist eindeutig!« Er sprang vor lauter Freude in die Luft.
    Luna sah ihn verständnislos an.
    »Begreifst du es denn immer noch nicht?«, fragte er Luna und packte sie an den Schultern. »Wir müssen

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