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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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angekommen, lehnte Pierre sich gegen den kalten Stein. Sein Atem ging schwer und rasselnd. Vorsichtig huschte er zu dem Fenster. Es war beschlagen, und er entdeckte nur ein paar schemenhafte Gestalten, die an einem Tisch saßen, und ein Feuer, das an der Wand in einem schmalen Kamin loderte.
    Da ging mit einem Schlag die Tür auf, und ein Henkersknecht trat heraus in den Schnee. Geistesgegenwärtig warf Pierre sich zu Boden. Der Knecht war nur wenige Schritte von ihm entfernt und öffnete lachend seine Hosen.
    »Warte nur«, lallte er, und Pierre dachte für einen Moment, er sei entdeckt worden. »Mein Geld nehme ich dir wieder ab. Die Nacht ist noch lang und der Wein …«
    Der Knecht verstummte und schlug sein Wasser ab.
    »Komm endlich rein und spiel weiter«, rief jemand von drinnen. Dröhnendes Lachen. »Oder willst du, dass unser schönes Kind friert?«
    Der Knecht stimmte hustend in das Gelächter ein. »Die? Bei der ist es doch gleich. Morgen wird ihr der Prozess gemacht, und übermorgen wird sie brennen. Recht so! Verdammte Hexenbrut!« Angewidert spie er auf den Boden, zog die Hosen hoch und trottete zurück.
    Gerade wollte Pierre sich aufrichten, da dröhnte eine Stimme: »Wartet!« Pierre ließ sich wieder zu Boden fallen.
    Einer der Knechte hielt die Tür offen. »Beeil dich! Wir dachten schon, du kommst nicht mehr wieder.«
    Pierre sah eine Gestalt mit zwei Krügen auf den Hexenturm zuschwanken.
    »Halt dein dummes Maul«, rief der Knecht mit den Krügen. »Hol doch den Wein nächstes Mal selbst. Säufst ja auch am meisten.« Gemeinsam verschwanden sie im Turm.
    Pierre wagte nicht zu atmen. Womöglich kam ein weiterer Henkersknecht um die Ecke. Seine Gedanken kehrten zu der liebreizenden Gefangenen zurück. Morgen schon, dachte er hilflos. Und übermorgen soll sie brennen? Wie zum Teufel konnte er sie in dieser kurzen Zeit befreien? Es brauchte einen Ritter, um sie aus dem Turm zu holen. Ach was! Zehn Ritter! Er war bloß ein dürrer, hohlwangiger Gaukler, der
nur mit Waffen in Berührung kam, wenn er Amicus’ Messer polierte. Dennoch … er besaß einen wachen Verstand. Etwas, das die Henkersknechte trotz all ihrer Muskeln nicht hatten.
    In seinem Kopf entstand nach und nach ein Plan. Und als er an sein Lager auf den Marktplatz gelangte, lange bevor die Sonne aufging, sah er dem folgenden Tag unverzagt entgegen.
Das zweite Opfer
    A uf!«, rief jemand. Dem Befehl folgte ein kräftiger Tritt in die Rippen.
    Pierre war schlagartig wach. Über ihm war die fleischige Fratze von Magnus. »Wie spät ist es?«, fragte Pierre und blinzelte.
    »Die Glocke hat grad neun geschlagen«, sagte Agnès vom Feuer her, über dem sie in einem zerbeulten Topf Schnee schmolz.
    Pierre sprang auf. »Ich muss fort!«
    »Was soll das heißen?«, fragte Magnus.
    Pierre verspürte kein Verlangen danach, mit Magnus in Streit zu geraten. »Ich bin bald zurück«, sagte er, während er seine Stiefel zuschnürte.
    Magnus verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen und starrte Pierre an. »Hier geblieben!«, knurrte er und packte Pierre am Kragen. »Die Vorstellung beginnt in einer Stunde. Du gehst nirgendwohin!«
    Fast hätte Pierre klein beigegeben. So wie es immer war, wenn Magnus etwas verlangte. Aber seit gestern war alles anders. Und er wusste, wenn er sich losriss, konnte er nie mehr zurückkehren. Er holte tief Luft, ließ sich fallen, rollte sich ab und rannte, als wäre der Teufel hinter ihm her.
    Derart überrascht, konnte Magnus nicht mehr tun, als fäusteschwingend hinter dem jungen Magier herzurufen: »Warte nur! Das wirst du mir büßen! Du kommst schon zurück, wenn der Hunger an dir frisst!«
    Im scharfen Winterwind hörte Pierre nur noch undeutlich, was Magnus da rief. Er schlug Haken um irgendwelche Leute, die den Marktplatz überquerten, stürzte beinahe über eine Butterfrau, bis er um die Kirche herum war und außer Sichtweite. Einen elegant gekleideten Herrn fragte er: »Bitte, wo finde ich das Gerichtsgebäude?«
    Der Mann erklärte es ihm, und Pierre stürmte davon.
    Vor dem Gericht hatte sich eine Menschentraube gebildet. Pierre drängte sich nach vorn, ohne auf die verärgerten Rufe der Leute zu achten. Hinter der mächtigen Tür waren Schlüssel zu hören, dann ging sie knarrend auf. Er stürzte hinein und folgte einer dicken Frau, die schnaufte wie ein Ackergaul. Sie führte ihn in das obere Stockwerk, in einen großen Saal. Er lief nach vorn in die erste Reihe, wo er einen Platz bekam. Nun hieß es

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