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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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warten.
    Der Gerichtssaal füllte sich, und kaum saß der letzte Zuschauer, öffnete ein Büttel eine schwere, reich verzierte Tür hinter der Richterbank. Herein schritten zwei Schöffen. Ihnen folgte der Bürgermeister, der stolz seine Amtskette um den fleischigen Hals trug. Nun betrat ein Bischof den Amtssaal und schließlich … der Inquisitor. Furcht einflößend stand er einen Augenblick im Türrahmen unter dem Kreuz. Er trug eine Tonsur, umgeben von einem schwarzen Haarkranz. Die Nase war lang und spitz, die Augen klein und dunkel mit irrlichterndem Funkeln. Er sieht aus wie eine alte Krähe, dachte Pierre. Ihn fröstelte.
    Auf ein Zeichen des Inquisitors öffnete der Büttel eine Seitentür. Von zwei Bewaffneten geleitet, betrat das schöne Mädchen den Gerichtssaal. Sie trug ein schlichtes weißes Kleid aus Linnen. Ihr Haar fiel sanft auf ihre Schultern wie Daunen. Ihre Augen waren groß und blickten klagend. Dennoch erweckte sie nicht den Eindruck, dass sie voller Gram war – oder gar Furcht verspürte. Nein, sie wirkte neugierig, zuversichtlich und arglos. Bemerkenswert angesichts ihrer aussichtslosen Lage, wie Pierre fand. Aber er würde sie aus den Klauen der Bestien befreien.
    Die Männer führten das Mädchen zu einem kleinen Tisch in der Mitte des Saals an dem, wie Pierre erst in diesem Augenblick sah, bereits der junge Mönch vom Vortag saß. Als das Mädchen an Pierre vorbeiging, hielt sie für einen Moment inne und schaute ihm in die Augen. Pierre erschrak. Wieso betrachtete sie ausgerechnet ihn? Sie konnte ihn eigentlich nicht kennen; und gewiss nicht seinen Plan, den er in dieser Nacht umsetzen wollte. Doch schien es ihm, als würde sie ihn erkennen.
    Einer der Männer stieß sie zu dem Tisch. Sie schrie laut auf, blickte den Mann wütend an und setzte sich neben den Mönch, der aufmunternd lächelte.
    »Erhebe dich und nenne uns deinen Namen«, begann der Inquisitor die Verhandlung.
    »Luna Langlois«, sagte das Mädchen leise.
    »Sprich lauter!«
    »Luna Langlois«, wiederholte sie mit fester Stimme.
    Luna, dachte Pierre. Ein wundervoller Name für ein wundervolles Geschöpf.
    »Weißt du, warum du hier bist?«, fragte der Inquisitor weiter.
    »Du klagst mich an, eine Hexe zu sein.«
    »Und bist du eine Hexe?«
    Luna straffte sich. »Dein Urteil steht bereits fest. Warum fragst du dann noch?«
    Gemurmel ging durch die Menge.
    »Unser Urteil steht erst nach Gottes Beweis fest«, knurrte der Inquisitor. »Du solltest mehr Ehrfurcht vor Gott und diesem Gericht zeigen. Schließlich haben wir auf die Hexenproben vorerst verzichtet, weil …«
    »Weil du mich alsbald brennen sehen willst«, führte Luna den Satz weiter.
    »Hüte dich!«, tobte der Inquisitor. »Du bist das Kind einer überführten Hexe, die …«
    »Die du unschuldig angeklagt, gefoltert und ermordet hast«, unterbrach Luna den Mönch erneut.
    Die Farbe wich aus dem Gesicht des Inquisitors. »Büttel, züchtige sie!«
    Ein alter Büttel ging mit einem Rohrstock auf sie zu und schlug ihr damit siebenmal auf den Nacken, dass Luna die Tränen über die Wangen rannen.
    »Steh auf!«, forderte der Inquisitor scharf. »Nun, antworte: Kannst du zaubern?«
    »N… nein«, stammelte Luna.
    »Hast du je den Teufel angerufen?«
    »Nein. Niemals.«
    »Ist dir der Teufel dann ohne Anrufen erschienen?«
    »Nein.«
    »Hat deine Mutter dich das Hexen gelehrt?«
    »Nein, nein, nein!«, schrie Luna und bäumte sich auf.
    Nun überschlugen sich die Ereignisse. Luna fasste sich mit beiden Händen an den Bauch. Sie krümmte sich und stöhnte vor Schmerz. Sie zuckte und schwankte. Dann fuhr ihr ein erstickter Schrei aus der Kehle, und an ihren Beinen lief dunkelrotes Blut hinunter.
    Entsetzt sprang der Bischof auf und rief: »Seht doch!«
    Ein jeder erhob sich von seinem Platz und versuchte, einen Blick auf die Vorgänge vor dem Richtertisch zu erhaschen. Der Inquisitor starrte fassungslos auf das Blut zu Lunas Füßen.
    Verstört blickte Luna zu Boden. Ein Schrei des Entsetzens drang aus ihrer Kehle. Sie zog das Kleid höher und betastete ihre Beine. Blut, überall Blut!
    Plötzlich rief irgendjemand: »Eine Hexe! Sie ist eine Hexe!«
    Darauf schien der Pöbel nur gewartet zu haben. Brüllend und johlend gaben sie zum Ausdruck, dass dies ein eindeutiges Zeichen sei, dass Luna, das Kind einer Hexe, ebenfalls eine Hexe war. Es konnte nicht anders sein. Sie musste vernichtet werden. Sie musste brennen!
    Noch während der Inquisitor um seine Fassung rang,

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