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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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rissen sie große Äste von den Tannen, um daraus ein weiches Lager zu schaffen. Dann holte Jeanne eine Flasche Wein, einen Kanten Brot, Käse und Schinken aus den Satteltaschen hervor. Mit dem Messer schnitt sie von allem etwas ab und reichte Raphael seinen Teil. Der lehnte dankend ab. »Esst, Madame«, sagte er. »Ihr müsst hungriger sein als ich.«
    Jeanne zuckte mit den Schultern und biss ein großes Stück ab. Und nach einem kräftigen Schluck Wein entspannten sich ihre Züge. Kauend fragte sie: »Sagt, Bruder, warum tut Ihr das alles? Ihr setzt Euer Leben ein, nur um einigen Menschen das ihrige zu retten. Menschen, die vermutlich anderen mit ihrer Hexerei Leid zufügten.«
    Regungslos starrte Raphael in die Flammen und schaute den Funken bei ihrem Flug durch die Dunkelheit zu. »Ich glaube«, sagte er, »die Hexerei findet nur in den Köpfen der Inquisition und derer statt, die die Inquisition angesteckt hat.«
    »Ihr glaubt also nicht an Hexen und Zauberer?«
    »Nein, gewiss nicht.«
    »Aber«, sagte Jeanne, »seid Ihr nicht verpflichtet, an Hexenkunst zu glauben?«
    »Ihr meint, als Mönch muss ich alles für wahr halten, was die Kirche vorgibt?«
    »Ja.«
    »All die päpstlichen Bullen, Erlasse und Verordnungen können mich nicht von der Hexenkunst überzeugen, Madame«, sagte Raphael. Kurz überlegte er, ob er Jeanne von dem Pergament in Henris Arbeitsraum erzählen sollte, entschied sich aber dagegen. Er nahm einen Schluck Wein, bevor er fortfuhr: »Niemand hat je eine Hexe in Ausübung ihrer Kunst gesehen. Weder dass sie mit dem Teufel tanzen noch über den Dächern der Dörfer und Städte fliegen. Die Hexerei besteht allein in der Kunst der Inquisition, die Köpfe der Leute zu verzaubern, um sich gegenseitig zu denunzieren und abzuschlachten.«
    »Ihr müsst die Menschen sehr lieben.«
    Raphael wusste nicht recht, was er erwidern sollte. So etwas hatte nie zuvor jemand zu ihm gesagt. Natürlich liebte er die Menschen. Jeannes Bemerkung offenbarte eine verletzte Seele. Er wollte nicht direkt darauf eingehen und entschied sich für eine Phrase: »Die Liebe ist die göttlichste aller Kräfte, Madame.«
    Unschlüssig spielte Jeanne mit ihren Fingern. »Ich bin nicht sicher, ob ich an Eurer Stelle ebenso handeln würde«, sagte sie nach einer Weile. »Bisher habe ich nichts in den Herzen der Menschen gesehen, für das ich mein Leben geben würde. Eure Gründe mögen sehr ehrbar sein, aber sie bleiben mir verschlossen.«
    »Sagt mir, Madame«, entgegnete Raphael, »warum Ihr mir, einem Ketzer, helft? Zweifellos habt Ihr mein Leben gerettet.«
    »Weil ich nicht glauben kann, dass Ihr ein Ketzer seid«, antwortete Jeanne.
    Raphael sah ihr tief in die Augen und lächelte. Er griff nach seiner Decke und legte sich hin. »Gute Nacht, Madame Gousset.«
    Das Feuer knisterte, die Tannennadeln zischten wütend in den Flammen. Es roch nach Harz und Farn. Jeanne blickte nach oben, wo der Mond seine Bahn zog. »Glaubt Ihr, Bruder«, wisperte sie, »dass ein einziger Mann die Kirche zu Boden zwingen kann?«
    »Die Spinne umgarnt nur Fliegen«, antwortete Raphael, ohne die Augen aufzuschlagen, »die Wespen lässt sie durch.«
    Noch lang saß Jeanne am lodernden Feuer. Schließlich fielen auch ihr die Augen zu. Sie bettete ihren Kopf auf eine der Satteltaschen und schlief auch schon ein.
Schneeglöckchen
    A m nächsten Morgen wurde Raphael vom lauten Krächzen eines Raben irgendwo in den Baumwipfeln geweckt. Benommen schaute er sich um. In der Nacht musste es kräftig geschneit haben. Eine knöcheltiefe Schneedecke lag auf seinem Lager. Auch Jeanne lag unter Schnee begraben. Er schlug seine Decke zurück und ging zu ihr hinüber. Er wischte den Schnee von der Decke und zog sie fort, darunter kam ihr gerötetes Gesicht zum Vorschein. Sie ist schön, dachte er. Schön und klug. So mancher Edelmann würde sich glücklich schätzen, sie zur Gemahlin zu haben. Stattdessen fristete sie ihr Leben mit diesem heuchlerischen, hässlichen Auguste Gousset. Er fragte sich, ob es richtig war, sie der Gefahr auszusetzen, in der sie sich befand. Zweifellos würde man auch sie auf den Scheiterhaufen bringen. Stand es ihm zu, das Schicksal dieser Frau zu beeinflussen? Eine innere Stimme sagte ihm, dass Jeanne diese Entscheidung selbst getroffen hatte, als sie daheim auf ihr Pferd gestiegen war. So oder so, es geschah Gottes Wille; und wer war er schon, dass er Seine Pläne kennen konnte.
    »Mir scheint, der Winter will niemals enden«, sagte

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