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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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Raphael. Das waren die Worte Jesu zu seinen Jüngern am Abend vor seiner Gefangennahme. Wenn der Herr aber in uns allen wohnt, dann, und dieser Gedanke war Raphael derart neu und unvertraut, dass er ihm fast ketzerisch vorkam, dann kann die Kirche nicht gegen Münze die Vergebung Gottes verkaufen . Denn der Herr in seiner Güte weiß um die Sünden eines jeden, und seine Liebe vergibt uns. Ihn schwindelte.
    »Ist Euch nicht wohl?«, fragte Jeanne besorgt.
    »Doch, doch«, sagte Raphael schnell. »Es ist nur die Hitze.«
    »Ich bringe Euch Wasser«, sagte Jeanne.
    Raphael hielt sie zurück. »Es ist gut, Madame. Habt Dank für Eure Mühe. Mich dürstet nur nach etwas Muße.«
    Amicus schien Raphaels Gedanken erraten zu haben: »Der Platz unter der Kastanie ist der Eure, Bruder. Ein ausgezeichnetes Fleckchen Erde, wenn Ihr mich fragt.«
    Lächelnd verbeugte sich Raphael und ging die Stufen hinunter.
    »Was ist mit ihm?«, fragte Amicus.
    Jeanne antwortete mit einem Achselzucken.
    Währenddessen, nur wenige Schritte entfernt und durch eine Tür getrennt, saß Pierre im Bett. Er zögerte. War es erlaubt, Luna, nachdem sie gerade erst aus den dunklen Gefilden zurückgekehrt war, mit Fragen zu bedrängen? Er versuchte, sie unbemerkt zu beobachten. Sie lag ausgestreckt unter dem schneeweißen Linnen, die Augen halb geschlossen.
    »Wie geht es dir, lieber Pierre?«, fragte sie unvermittelt.
    »Es …«, stammelte Pierre. »Es geht mir gut. Wie geht es Euch, Mademoiselle?«
    »Wer hat dir so böse mitgespielt?«, fragte sie weiter.
    »Lumpenpack«, antwortete er. In wenigen Worten berichtete er, woran er sich erinnerte. Es war ihm peinlich, dass Luna ihn in dieser Verfassung sah.
    »Du bist sehr mutig, dass du dich in diese Gegend gewagt hast, um Juda zu suchen«, sagte Luna.
    Pierre wusste aus lauter Verlegenheit nicht, was er entgegnen sollte. Also hielt er es für das Beste, gar nichts zu sagen.
    Stille trat ein. Pierre schloss die Augen und lauschte Lunas Atemzügen. Seit sie damals im Hexenturm von Rouen gefangen waren, war er nicht mehr mit ihr allein gewesen. Es war herrlich, ihr so nah sein zu dürfen. Ohne das ständige Schwatzen der anderen. Er hörte, dass sie sich aufrichtete, und öffnete die Augen.
    »Wie geht es Raphael, Jeanne und Amicus?«, fragte sie.
    »Gut«, sagte Pierre. »Raphael und Jeanne verbringen viel Zeit miteinander. Amicus liegt meist im Garten und betrachtet die Wolken.«
    »Das ist schön.« Sie lächelte.
    »Ihr habt mir noch nicht gesagt, wie Ihr Euch fühlt.«
    »Oh«, stieß Luna hervor. Ihr Gesicht wurde ernst. »Ich fühle mich sehr schwach«, sagte sie, ohne Pierre anzusehen.
    »Hm«, machte Pierre. Er überlegte, ob er sie mit seinem Verdacht konfrontieren sollte. Er entschied sich dafür: »Ihr verheimlicht etwas.«
    Erschrocken wandte sie ihm das Gesicht zu. »Was meinst du damit?«
    »Ich weiß es nicht«, gab Pierre zu. Er bemerkte die Angst in ihren Augen und bereute sein forsches Vorgehen. Nun war es zu spät. »Es ist nur ein Gefühl. Verzeiht, wenn ich Euch zu nahe getreten bin.«
    Sie antwortete nicht. Stattdessen strich sie nervös das Laken glatt.
    »Sagt, wohin wenden wir uns, wenn Ihr wieder gesund seid und wir Maître Judas Haus verlassen?«
    »Ich, ich, ähm …« Luna hustete. »Es gibt viele Möglichkeiten. Zu gegebener Zeit werden wir uns für die beste entscheiden.« Sie zog das Laken bis unter das Kinn und drehte sich zur Wand.
    »Bisher wusstet Ihr immer, was zu tun war. Oft schon Wochen oder gar Monate im Voraus«, sagte Pierre.
    »Ich bin müde«, flüsterte Luna. »Lass mich bitte schlafen.«
    »Hier stimmt doch etwas nicht«, beharrte Pierre. »Etwas bedrückt Euch. Lange vor Ausbruch der Krankheit ist es mir aufgefallen.«
    Luna reagierte nicht.
    »Bitte, lasst mich an Eurem Leid teilhaben«, bat Pierre. Seine Stimme war ganz ruhig.
    Luna hüllte sich weiter in Schweigen.
    Ächzend stieg Pierre aus seinem Bett. Noch immer schmerzten alle Knochen im Leib. Er nahm den Stuhl, der vor dem Fenster stand, und setzte sich neben Lunas Schlafstatt. »Bitte«, wiederholte er, »redet mit mir. Als Euer Freund, der ich hoffe zu sein, möchte ich Euch helfen. Ich tue alles, was in meiner Macht steht. Nur, redet mit mir. Bitte, redet. Lasst mich nicht betteln wie ein Kind.«
    Ein Seufzen drang aus Lunas Kehle. Langsam drehte sie sich um und sah ihm tief in die Augen. »Ich kann dir nicht sagen, wohin wir ziehen müssen, was wir tun und lassen sollten, welche Orte wir zu

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