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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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suchen und zu meiden haben.« Sie holte tief Luft. »Weil ich es nicht sehen kann.«
    Pierre hatte das Gefühl, der Boden unter ihm würde sich auftun und er fiele in die Ewigkeit. »Das ist unmöglich«, flüsterte er. Und lauter, als wäre es dadurch wahrer, fügte er hinzu: »Das ist nicht wahr!« Er wartete. Warum sagte sie nichts? Irgendetwas, dass sie nur einen Scherz gemacht hatte. Bestimmt würde sie gleich auf ihre unnachahmliche Weise laut lachen und ihn einen Tölpel schimpfen, dass er ihr auf den Leim gegangen war.
    Doch Luna lachte nicht. Und es kam noch viel schlimmer: Sie weinte.
    Pierre hatte das Gefühl, sein Herz würde zerspringen. Er sank zu Boden. »Weint nicht«, wisperte er. »Bitte, weint nicht.« Er streckte seine Arme aus.
    »Fass mich nicht an!«, schrie sie.
    Pierre zuckte zurück.
    »Verzeih«, sagte Luna. »Es ist nur, weil Juda es gesagt hat. Es war nicht in meiner Absicht, dich anzufahren.«
    »Da ist rein gar nichts, das ich Euch zu verzeihen hätte, Mademoiselle.«
    Sie blickte ihn durchdringend an, und wieder rannen Tränen aus ihren Augen.
    Pierre glaubte, sich wieder gefangen zu haben. Die Hoffnung blieb sein letzter Halt. »Vielleicht könnt Ihr wieder sehen, wenn Ihr geheilt seid. Bestimmt könnt Ihr das!« Er versuchte, aufmunternd zu lächeln.
    Luna schüttelte den Kopf.
    »Oder Maître Juda verabreicht Euch eines seiner zahllosen Wässerchen, irgendein Granulum oder eine Essenz. Er ist ein gelehrter Mann. Er wird schon wissen, wie Euch zu helfen ist. Seine Bibliothek ist riesig, und Bruder Raphael hat gesagt, dass dort Bücher der Geheimwissenschaften aus allen Ecken der Welt stehen.«
    »Niemand kann mir helfen«, schluchzte Luna. »Nicht alle Gelehrten mitsamt ihren weisen Büchern. Keiner, hörst du?«
    Jetzt verlor auch Pierre die Zuversicht. Wütend und voller Gram, weil er Luna in ihrem Leid nicht helfen konnte, begann auch er zu weinen. Er stand auf und stampfte mit beiden Füßen auf den Boden. »Das kann ich nicht glauben«, schrie er tränenüberströmt. »Ohne Eure Gabe wird es ein schlimmes Ende mit uns und mit Euch nehmen. Das darf nicht geschehen!«
    »Es tut mir Leid«, wimmerte Luna.
    Weinend humpelte Pierre hinaus, die Treppe hinunter, vorbei an Jeanne und Juda und in den Garten.
    Verwirrt blickte Jeanne den Medicus an. »Ist jetzt jeder in diesem Hause verrückt?«
    Juda lächelte geheimnisvoll. »Alles ist, wie es zu sein hat«, sagte er.
    Jeanne zuckte mit den Achseln und ging kopfschüttelnd in die Küche. Bei aller Narretei – auch die Wahnsinnigen mussten irgendwann essen.
    Bis zum Abend lagen die drei Männer regungslos und ohne ein Wort miteinander zu wechseln im Schatten der Kastanie. Dann trieb der Hunger sie zurück in das kleine Haus. Gemeinsam mit Jeanne und Juda nahmen sie das Abendessen ein.
    Jeanne versuchte, hier und da einen Scherz zu machen oder einen der Freunde anzusprechen, aber sie erntete kaum Beachtung.
    Erst zu später Stunde, als Juda schon schlief und Amicus mit Pierre im Garten war, richtete Raphael das Wort an sie. Sie saßen in der Bibliothek und bereiteten ihr Nachtlager. »Vergebt mir, wenn ich mich heute wie ein Flegel benommen habe, Madame.«
    Jeanne breitete ihre Decke auf dem Boden aus. »Ich habe Euch nichts zu vergeben.«
    Raphael hatte sehr wohl gehört, dass in ihrer Stimme Verärgerung mitklang. »Es gab da einige Dinge, über die ich nachsinnen musste.«
    »Und«, sagte sie, »seid Ihr zu einem Ergebnis gelangt?«
    »In der Tat.«
    »Wollt Ihr es mir sagen?«
    »Zu gegebener Zeit, Madame.«
    Kräftig rüttelte und schüttelte Jeanne ihr Kissen, als wollte sie ihre Wut daran auslassen. Raphael verstand ihren Groll. Den ganzen Tag lang hatte er sie wie Luft behandelt. Aber zu seinem großen Unglück verstand er nicht viel von Frauen. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Ob er sie den ganzen Abend um Verzeihung bitten oder lieber eine Nacht warten sollte. Eine Nacht wirkte Wunder. Er seufzte tief.
    Plötzlich merkte Jeanne auf. »Habt Ihr das gehört?«, fragte sie.
    Raphael schüttelte den Kopf.
    »Sssch!« Sie horchte. »Ich glaube, Pierre ist nach oben gegangen.« Sie warf das Kissen fort und schlich zur Tür. Dort lauschte sie erneut. Nach einer Weile öffnete sie vorsichtig die Tür und spähte hinaus. Draußen war es dunkel. Und noch ehe Raphael etwas sagen konnte, schlüpfte sie hinaus und schloss die Tür.
    Wieder seufzte Raphael. Er stand auf und ging rastlos in der Bibliothek umher. Es tat ihm Leid,

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