Hexengewitter
Stein sollte uns genügen«, sagte Tertish düster. »Wenn ich anfangs noch bezweifelte, daß Ranky mit ihren Prophezeiungen recht hatte, so muß ich ihr jetzt wohl Abbitte leisten. Merkt ihr nichts?«
»Ich verstehe dich nicht«, sagte Scida, ohne von Mythor aufzusehen.
»Dann liegt es vielleicht nur daran, daß wir drei in seiner unmittelbaren Nähe waren. Der Brocken ist heiß, begreift ihr? Fronja allein mag wissen, wie lange er schon unter Deck liegt, aber er ist noch heiß und strahlt etwas aus, das…«, sie machte eine weit ausladende Geste, »… das unsere Kameradinnen übereinander herfallen ließ.«
»Dann war es keine Meuterei?« fragte Gerrek.
Gorma lachte bitter. »Wenn es nur eine Meuterei gewesen wäre! Eine fremde Macht ergriff von den Kriegerinnen Besitz. Einige mögen versucht haben, sich gegen den beginnenden Irrsinn zu wehren. Zumindest Nataika, die in unserer Abwesenheit das Kommando über die Sturmbrecher führen sollte, wußte, was auf sie zukam. Sie lag an Händen und Füßen gefesselt in ihrem Quartier, und die Art und Weise, wie sie gefesselt ist, läßt nur den Schluß zu, daß sie sich selbst band.«
»Sie lebt«, fügte Gudun hinzu. »Sie und einige andere, die wir unter Deck fanden. Aber sie sind ebenso ohne Bewußtsein wie Mythor. Sie liegen in der gleichen todesähnlichen Starre.«
»Dann müssen wir sie aufwecken«, rief Gerrek erregt aus, »damit sie uns sagen können, wie alles kam. Denn dann wissen wir vielleicht auch, wie wir Mythor helfen können!«
»Ach so?« fragte Kalisse. »So einfach stellst du dir das in deinem leeren Schädel vor? Wenn wir die Amazonen aufwecken können, können wir das auch bei ihm tun. Dazu müssen wir sie nicht erst…«
»Ihr stellt es euch beide zu einfach vor«, unterbrach Gorma sie. Mit der Klinge deutete sie auf den wie tot Daliegenden. »Was immer von diesem Stein ausgeht, es trifft Mythor ungleich härter als unsere Kameradinnen. Sie verfielen dem Irrsinn und hatten genug Zeit, sich gegenseitig umzubringen, während er wie vom Blitz gefällt zu Boden sank. Seht euch die Gesichter der Toten an und dann seines. Ihre sind gräßlich entstellt, Mythors aber spiegelt etwas anderes als nur Besessenheit wider. In dem kurzen Augenblick, in dem ihn das Fremde mit voller Wucht traf, muß er unvorstellbare Qualen erlitten haben.«
»Und da ist noch etwas«, murmelte Tertish. »Denkt an sein Verhalten im Boot. Er war gereizt wie nie und kämpfte gegen etwas an, das…«
»Ich glaube, ich weiß, was du sagen willst«, sagte Scida leise. »Er ahnte, was über ihn kommen würde, obwohl er nur Rankys Warnungen gehört und noch nichts von dem gesehen hatte, was hier an Bord geschah. Es hat nur ihn betroffen, uns nicht.«
Niemand sprach, als die Amazone Mythors Kopf sanft in ihren Schoß bettete und ihm über die Stirn strich.
»Er wehrte sich«, sagte Kalisse endlich. »Und das nicht nur gegen irgendeinen fremden Einfluß.« Sie blickte die Umstehenden unsicher an. »Glaubt meinetwegen, daß der Irrsinn auch schon nach mir greift. Aber gibt es eine andere Erklärung dafür, daß er sich nicht von uns beistehen ließ und uns so heftig zurückwies, als jene, daß er furchtbare Angst hatte? Daß er spürte, daß er einem Etwas ausgesetzt wurde, das… das er kannte?«
Gorma schüttelte den Kopf.
»Er wußte nicht mehr als wir!«
»Und wenn doch?« Kalisse blickte ihn lange an und ballte die Hände. »Wenn er solch einem Stein bereits einmal begegnete?«
Die Amazonen der Burra blickten sich betroffen an. Dann winkte Tertish ab.
»Wenn es wahrhaftig so wäre, hätten wir erst recht einen Grund, den Stein von Bord zu schaffen. Ranky, rufe die Winde herbei. Sobald wir genügend Fahrt haben und auf Kurs sind, versuchen wir alle gemeinsam, den Brocken ins Meer zu werfen. Dann wird sich zeigen, ob…«
Ranky hatte nur noch mit halbem Ohr zugehört. Ihr Körper bebte. Sie kämpfte um ihre Beherrschung, wollte nicht zeigen, wie es in ihr aussah, doch dann hörte sie sich schreien und konnte nicht glauben, daß es ihre eigene Stimme war, die über das Deck gellte:
»Dann beeilt euch! Tut es jetzt! Es… greift auch nach uns! Ich kann nicht mehr lange dagegen…«
Alles Weitere ging in einem Gebrüll unter, das keiner menschlichen Kehle zu entstammen schien. Ranky wirbelte entsetzt herum, schon in dem Glauben, daß ihre eigenen Weiber der unerträglichen Belastung nicht länger hatten standhalten können und sich anschickten, sich gegenseitig an die
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