Hexengift
mir unterwerfen. Danach? Eroberung. Versklavung.« Er grinste, und seine grässlichen Zähne lugten zwischen seinen Lippen hervor. »Mein ganzes Leben lang schon warte ich auf diesen Moment.«
15
»Sie ist weg«, sagte Austen und materialisierte sich - aus der leeren Luft oder von wo auch immer er herkommen mochte, wenn er nicht in der Bibliothek war. »Ich glaube, es ist etwas passiert.«
»Vielleicht hat Marla sie gefunden«, sagte Zealand. »Sie wollte Genevieve sedieren. Es könnte sein, dass sie im Sanatorium wieder aufwacht, in Sicherheit.«
»Vermutlich«, sagte Austen. Trotzdem lief er unablässig nervös auf und ab. Als aus den Minuten des Wartens Stunden wurden, begann Zealand, sich ebenfalls Sorgen zu machen. Er versuchte, etwas zu lesen, aber kein einziges Buch in der Bibliothek war vollständig. Nur die ersten paar Seiten waren mit sinnvollem Inhalt gefüllt, schon auf der dritten oder vierten stand zumeist nur noch Unsinn, und die folgenden waren ganz einfach leer. Austen erklärte ihm, dass in den Büchern nur das stand, was Genevieve gelesen und auch im Kopf behalten hatte, und selbst das war, verständlicherweise, oft unvollständig oder falsch wiedergegeben. Seinen
Band von Die Kunst des Krieges konnte er nirgendwo finden, und Genevieves Version des Buches war vollkommen unbrauchbar.
Ein mächtiges Rütteln ging durch den Palast, und Zealand lief auf den Balkon. Um sie herum war nichts zu sehen außer Wolken, doch dann brach über ihm ein riesiges Stück Mauerwerk aus der Wand und rauschte zischend an ihm vorbei in die Tiefe. Weitere folgten, und kurz darauf trat Zealand freiwillig den Rückzug in die Bibliothek an, um nicht auf dem Balkon erschlagen zu werden. »Austen, der Palast stürzt ein!«
»Dann wurde sie also gefangen genommen«, erwiderte Austen kopfschüttelnd. »Von Reave. Er hatte immer gesagt, dass er als Erstes ihren Palast zerstören würde, um ihr zu demonstrieren, dass sie nirgendwo auf der Welt mehr sicher ist. Wir sind verloren.«
»Wovon zum Teufel reden Sie?«, erwiderte Zealand. »Wie kommen wir hier raus, zurück in die reale Welt?«
Austen zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Ich habe den Palast noch nie verlassen, und selbst jetzt, da ich es theoretisch könnte, habe ich meine Zweifel, ob ich … stabil genug bin, um außerhalb dieser Mauern zu überleben.«
»Wir können entweder versuchen zu fliehen oder uns von den Trümmern dieses Palasts erschlagen lassen.« Er packte Austen an den Schultern und schüttelte ihn. »Los jetzt, kommen Sie!«
Austen nickte. »Wir können einfach hinunterspringen, in die Wolken. Marla ist auf diese Weise gestürzt, und ihr ist nichts geschehen.«
Jetzt war es Zealand, der zögerte. »Einfach … springen?«
Als wäre das ihr Stichwort gewesen, fielen mit einem lauten Klatschen die ersten Bücher aus den Regalen. Der gesamte Palast bebte mittlerweile.
»Außer Sie haben eine bessere Idee«, sagte Austen.
»Wer nicht wagt, der nicht gewinnt«, erwiderte Zealand und reichte Austen die Hand. »Es war mir eine Ehre, mit Ihnen zu dienen, Sir.«
»Das Gleiche gilt natürlich für mich. Zu meiner Zeit war ich ein Wahrscheinlichkeitsmanipulator, und auch wenn dieser Körper nur eine Phantasie von Genevieve ist … nun, ich werde mein Bestes geben, um unser Schicksal ein wenig zum Positiven zu beeinflussen. Wenn man glücklich aufkommt, kann man sogar einen Sturz aus einem Flugzeug überleben.«
»Vorausgesetzt, wir fallen nicht bis in alle Ewigkeit durch Genevieves Traumwelt.«
» Das vorausgesetzt natürlich.«
Sie arbeiteten sich zum Balkon vor. Der Turm begann ohnehin, sich in diese Richtung zu neigen, und die Schwerkraft beschleunigte ihren Weg dorthin. Zealand blickte nach unten. Er sah nichts außer weißen Wolken. Er atmete tief ein und stieß die Luft dann langsam wieder aus. »Über Bord also«, sagte er und sprang. Nur einen Wimpernschlag später folgte Austen.
Sie fielen durch die Wolken, die Erde weit, weit unter ihnen - nur dass es nicht die Erde war, sondern eine riesige, elfenbeinfarbene Fläche mit grünen Fleckchen hier und da. Der Wind trieb ihm Tränen in die Augen, und Zealand musste die Augenlider zusammenpressen, dann warf er einen Blick zur Seite auf Austen, der neben ihm dem Boden entgegenraste.
Aber etwas geschah mit ihm, Teile seines Körpers wurden weggerissen, verwandelten sich in Dunst und Staub. Austen löste sich auf wie Zuckerwatte, die Füße verschwanden, die Beine verschwanden, Hände,
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