Hexengift

Gewehr betäuben. Hamil hatte in einiger Entfernung ein paar seiner Fleischgolems in Stellung gebracht, nur für den Fall, dass irgendetwas schiefging. Sie waren in dicke Winterkleidung gehüllt, damit sie ein bisschen mehr wie Menschen aussahen. Sie machten eine Schneeballschlacht. »Ich glaube, das dürfte …«, begann Marla, dann warf Joshua plötzlich die Arme in die Luft, fiel hintenüber und verschwand unter der Schneedecke, ohne auch nur einen Schrei von sich zu geben. Marla schoss sofort wie der Pfeil in seine Richtung, aber sie prallte ziemlich hart gegen eine unsichtbare Wand, fiel zu Boden und sah nur noch Tannennadeln und grauen Himmel über sich. Langsam und vorsichtig setzte sie sich auf, dann sah sie es: Ein Käfig aus feinen, leuchtenden
blauen Linien umgab sie. Magie . Sie blickte nach unten und sah Glückskekse vor sich im Schnee liegen. Auf einen davon war sie wohl getreten. Marla hob das zerbröckelte Ding auf und zog den kleinen Zettel heraus. Sie kannte die Schriftzeichen darauf nicht. Offensichtlich ein Bannzauber, den sie noch nie zuvor gesehen hatte.
    »Rondeau!«, brüllte sie und warf sich gegen das blaue Gitter, das zwar etwas nachgab, sie aber nicht durchließ. »Bleib auf deinem Posten!« Rondeau gab keine Antwort. Befolgte er nur ihren Befehl, oder war auch ihm etwas zugestoßen?
    Die Fleischgolems waren unterdessen immer noch mit Schneeballwerfen beschäftigt. Einer von ihnen zielte gerade auf den Kopf seines Kumpanen - der in einer rot-grauen Fontäne explodierte. Irgendwie hatte sich der Schneeball auf seinem Weg durch die Luft in ein tödliches Projektil verwandelt. Die anderen Fleischgolems starrten sich kurz an, dann liefen sie wie wild durcheinander und fielen den anderen unsichtbaren Fallen zum Opfer. Einer nach dem anderen gingen sie zu Boden, jeder auf unterschiedliche Art und Weise: Bei dem einen verschwanden die Beine von den Knien abwärts, der andere bog sich nach hinten wie ein Turner, der eine Brücke macht, und dann noch weiter, bis seine Wirbelsäule brach. Die Übrigen begannen wie von Tobsucht gepackt aufeinander einzuschlagen - ebenfalls eine magische Falle. Was war mit Joshua geschehen? War er auch in eine solch … tödliche Falle getreten?
    Marla kam endlich auf die Idee, ihren Amtsdolch zu ziehen, der durch alles schneiden konnte, sei es Materie oder Magie, und verfluchte sich innerlich dafür, dass sie sich so
hinters Licht hatte führen lassen. Und dafür, dass sie so lange gebraucht hatte, um endlich zu reagieren. Aber der Anblick, wie Joshua zu Boden ging, hatte sie regelrecht gelähmt. Der Dolch durchtrennte die blauen Linien mühelos - und das gerade noch rechtzeitig, denn sie zogen ihr Gitternetz immer dichter zusammen, um sie endgültig zu fesseln oder gar zu zerquetschen. Marla zwang sich, höllisch aufzupassen, während sie sich langsam zu Joshua vorarbeitete, und hielt Ausschau nach weiteren kleinen Fallen, ein paar Murmeln hier, ein Stolperdraht da, eine Reihe aus blässlich gelb schimmernden Reißnägeln dort drüben. Endlich war sie bei Joshua, der bewusstlos im Schnee lag, seine Beine von Gummibändern gefesselt, die sich langsam über seinen Körper ausbreiteten, ihn am Boden festzurrten und versuchten, ihn zu ersticken.
    Marla durchschnitt die Bänder und ohrfeigte ihn sanft, aber Joshua reagierte nicht. Also schulterte sie ihn kurzerhand und ging in ihren eigenen Fußspuren zurück unter die Bäume, wo sie, wie sie hoffte, einigermaßen in Sicherheit war. Während dieser ganzen Zeit hörte sie ihre innere Uhr pausenlos ticken … Genevieve musste in weniger als einer Minute hier sein. Falls Rondeau noch da war, das Zielfernrohr im Anschlag, konnten sie sie immer noch erwischen.
    Aber Rondeau lag stöhnend mit dem Gesicht nach unten im Schnee - ohne Gewehr. Marla legte Joshua ab und berührte Rondeau an der Schulter. Er rollte sich halb zu ihr herum. »Nicolette«, sagte er. »Sie hat mir etwas über den Kopf gezogen. Sie hat das Gewehr … konnte sie nicht aufhalten. Sie …« Er verstummte.
    Marla gab ihm eine Ohrfeige, und Rondeau schnappte nach Luft. »Bleib wach, verdammt. Es könnte sein, dass du
eine Gehirnerschütterung hast.« Sie nahm eine Hand voll Schnee und stopfte sie ihm vorne in die Hose. Rondeau riss die Augen auf; das würde ihn zumindest ein paar Minuten lang wach halten. Marla stand auf und schaute hinüber zu dem Musikpavillon. Und da war sie, Genevieve, mit ihrem karamellfarbenen Haar, der blassgelben Bluse und dem