Hexengift
hatte nicht genügend Ausdauer, eine komplette Partie durchzustehen, ohne dass ihm mittendrin langweilig wurde und seine Gedanken abschweiften, und Hamil weigerte sich schlichtweg, Schach zu spielen. Sein Hang zu Sympathiezaubern machte Spiele für ihn gefährlich. Wenn er zum Beispiel eine Schachpartie verlor, bestand das Risiko, dass auch seine weltlichen Geschäfte den Bach hinuntergingen. Marlas einstiger Mentor, Artie Mann, hatte ihr das Spiel beigebracht, war aber selbst nur ein mittelmäßiger Spieler gewesen. »Macht nichts, Napoleon war auch nicht gut im Schach!«, hatte er jedes Mal gerufen, wenn Marla seinen König mattgesetzt hatte, als mache ihn die Tatsache, dass er gerade im Schach verloren hatte, selbst zum Kaiser.
»Ich war Trainer eines Schachclubs an der Highschool, bevor … mich mein Glück im Stich ließ«, sagte Ted. »Aber es gab viele Schüler, die besser spielten als ich, seien Sie also unbesorgt.«
»Okay, wir können ja eine Partie spielen, bis das Essen kommt.« Warum auch nicht? Vielleicht würde sie das ein bisschen von Genevieve ablenken. Und von der immer noch ausstehenden Verteilung von Susans Besitz. Und von ihrer denkbar unangebrachten, magisch motivierten Schwärmerei für Joshua Kindler. Und von abtrünnigen Zeitattentätern, die durch ihre Stadt streunten. Und von dem ganzen anderen Bockmist.
Marla spielte Weiß, in ihrer typischen Hauen-und-Stechen-Manier, aber es dauerte nicht lange, bis sie merkte, dass ihre Figuren absolut chancenlos gegen Teds gut gesicherte Bauernreihe anrannten. Jeder seiner Bauern wurde von einer anderen Figur gedeckt, der Bewegungsspielraum ihrer eigenen Figuren war so gut wie null; sie wurden erbarmungslos abgedrängt und hingeschlachtet, bis ihre eigene Verteidigungslinie vollkommen aufgerieben war. Während sie spielten, erklärte Ted ihr den historischen Hintergrund des Spiels; ärgerlicherweise schien ihn diese kleine Unterrichtsstunde nicht im Geringsten dabei zu behindern, ihre Figuren eine nach der anderen vom Brett zu fegen. Schließlich setzte er sie schachmatt, und Marla verzog säuerlich das Gesicht. »Revanche«, sagte sie, und Ted willigte ein. Dieses Mal begann sie sofort, seine Bauern zu eliminieren, und als der Lieferservice kam, zahlte sie hastig, voller Ungeduld, endlich wieder ans Brett zu kommen.
Sie war so sehr in die Partie vertieft, dass sie beinahe die
Ampulle vergessen hätte, die Langford ihr mitgegeben hatte. Während Ted über seinen nächsten Zug nachdachte, schüttete sie die Flüssigkeit in seine Essensbox und kippte auch ein paar Tropfen in die ihre - nur für alle Fälle. Dann eilte sie zurück an den Tisch und stellte die Boxen hin. Ted schien nichts Ungewöhnliches zu bemerken, was auch gut so war - sie sah keinen Grund, ihm zu sagen, dass er eigentlich todkrank war. Es wäre ohnehin zu kompliziert gewesen, es ihm zu erklären. Für den Moment genügte es, wenn er sich bald besser fühlen würde; er brauchte gar nicht zu wissen, warum.
Marla war gerade damit beschäftigt, mit einem ihrer Springer eine schöne Gabel vorzubereiten, in der Hoffnung, Ted würde seinen Turm opfern, um dadurch seine Dame zu retten, aber irgendwie gelang es ihm unterdessen, seinen Läufer quer über das ganze Feld zu ziehen und ihr Schach zu bieten. Nach zwei weiteren Zügen war Marlas Schicksal besiegelt. Sie akzeptierte die unvermeidliche Niederlage und legte ihren König aufs Brett. Dann stürzte sie sich auf ihr Eiersandwich. »Sie spielen gut, Ted.«
»Und Sie sind eine sehr romantische Spielerin.«
Marla zog eine Augenbraue hoch. »Man hat mich schon vieles genannt, Ted, aber romantisch war bis jetzt noch nicht dabei.«
»Ich spreche von der romantischen Schule im Schach. Die ersten Großmeister spielten einen romantischen Stil. Sie stellten ihren Gegnern Fallen, führten geschickte Kombinationsangriffe und machten waghalsige Opfer, um sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen. Schöne Züge waren ihnen wichtiger als das Gewinnen. Hätten Sie im neunzehnten Jahrhundert gespielt, wären Sie, glaube ich, ziemlich gut
gewesen. Später wurde das romantische jedoch vom Positionsschach verdrängt, bei dem man es eher darauf anlegt, die Kontrolle über das Brett zu bekommen. Diese Spielart ist langsamer, weniger dramatisch, aber ein Positionsspieler ist einem Romantiker fast immer überlegen. Das ist auch der Grund, warum ich gewonnen habe. Ich könnte nicht von mir behaupten, dass ich ein sehr tiefes Schachverständnis hätte, aber
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