Hexengold
Obstessig, Poleiminzen-, Nelken-, Lavendel- und Eukalyptusöl sowie einigen weiteren Zutaten, die sie nicht verriet. Der Geruch war gewöhnungsbedürftig, doch allemal leichter zu ertragen als juckende Mückenstiche. Auch gegen die hämmernden Kopfschmerzen wirkte er.
Weitaus schwerer zu ertragen war für Carlotta dagegen die Stimmung, die seit der Rast vor dem unheimlichen Gasthaus auf der Reisegesellschaft lastete. Wie eine Gewitterwolke hing sie selbst eine Handvoll Weggabelungen nach jener düsteren Kreuzung noch immer über ihnen. Auf den Gesichtern der Reiter und Fuhrleute waren nach wie vor Spuren von Furcht vor Wiedergängern und blutbefleckten Händen zu erkennen. Allein bei der Vorstellung, gestandene Männer wie Rudolf oder Karl mochten solchen Unsinn für wahr erachten, wollte Carlotta am liebsten laut loslachen. Dann aber blieb ihr das Lachen im Hals stecken. Ein unheilvoller Blick aus Adelaides schwarzen Augen streifte sie. Noch während sie sich fragte, ob die Tante Gedanken lesen konnte, ließ der Ausdruck auf Adelaides Antlitz ihr das Blut in den Adern gefrieren.
Carlotta höhnte nicht mehr über gestandene Männer, die sich aus Angst vor Wiedergängern in die Hosen machten. Etwas weitaus Bedrohlicheres versetzte sie in Aufruhr. Sie spürte, wie die Hitze ihre Wangen zum Glühen brachte, und senkte den Blick. Schon stand ihr die Begegnung in Erfurt wieder vor Augen, als Tante Adelaide sich nackt vor ihr im Badezuber geräkelt und ihr dabei das seltsame Mal auf dem Rücken präsentiert hatte. Nicht einen Mucks hatte sie von sich geben, geschweige denn, sich rühren können. Verglichen damit war die Angst vor Spreewälder Wiedergängern und Bluthänden lächerlich. Die konnten sie hinter sich lassen, sobald sie aus dem Wald heraus waren. Das andere aber war immer bei ihnen, dem würden sie nicht entgehen: Mit jedem Tag braute sich Tante Adelaides Hexenwerk mehr über ihnen zusammen. Bald würde es über sie hereinbrechen und sie alle ins Verderben stürzen. Niemand konnte etwas dagegen tun, keiner von ihnen war gegen seine Zerstörungskraft gefeit. Nicht einmal ihre Mutter, die sonst immer eine Tinktur oder ein Heilpflaster gegen jegliche Beschwerden wusste. Ohnehin schenkte die ihren Befürchtungen keine Beachtung.
Carlotta wurde übel. Sie wandte den Kopf, um vorn aus dem Wagen zu sehen – und schaute ausgerechnet in Mathias’ Gesicht, der sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Unwillkürlich schloss sie die Augen und schmiegte sich an die zierliche Schulter der Mutter. »Was hast du, Kleines?« Erstaunt zog sie die Augenbraue nach oben, legte dann aber schützend den Arm um die Dreizehnjährige. Aus dieser sicheren Haltung sah Carlotta, wie Tante Adelaide spöttisch schmunzelte. »Sie ist halt doch noch ein Kind«, sagte sie leise. »Ein ängstliches, kleines Mädchen, das überall um sich her Gespenster und böse Mächte spuken sieht.«
»Gewiss!«, stellte Magdalena fest. Ihr Ton ließ keinen Zweifel, wie wenig Wert sie in diesem Moment auf ein Gespräch mit ihrer Base legte. Dankbar betrachtete Carlotta das Gesicht der Mutter. Das fahle Licht unter der Plane verlieh ihr ein nicht eben vorteilhaftes Aussehen. Die smaragdgrünen, leicht schräg stehenden Augen wirkten glanzlos, die hohen Wangenknochen und das spitze Kinn zeichneten ein ungewohnt scharfes Profil. Der schmallippige Mund verlief viel zu gerade. Wenigstens brach eine rote Haarsträhne die Strenge auf und ragte frech in die Stirn. Nach einer Weile störte sich Magdalena daran und pustete sie weg. Dabei wurde sie Carlottas Blick gewahr und zwinkerte ihr aufmunternd zu. Das genügte Carlotta, sich von dem Bann zu lösen, in den Tante Adelaide sie schlug. Die Mutter würde ihr beistehen, komme, was wolle. Endlich konnte sie lachen, sich der Erleichterung hingeben, die sie auf einmal verspürte. Auch Magdalena stimmte in das Lachen ein.
»Was ist denn jetzt los?« Verwundert schüttelte Adelaide den Kopf. Ihre Miene hatte alles Furchteinflößende verloren. Das Hexenhafte war aus ihrem Gehabe verschwunden. Die dunklen Augen mit dem sanften Schwung der gezupften Augenbrauen, die gerade Nase und der volle, rote Mund konnten nicht anders als jeden Betrachter aufs angenehmste rühren. Das sorgfältig frisierte schwarze Haar umrahmte die feinen Züge und unterstrich die perfekten Linien. Endlich lächelte auch sie, blinzelte Carlotta versöhnlich an.
Der Wagen rumpelte durch ein Schlagloch. Ihre Knie stießen gegeneinander. Für
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