Hexengold
Erde und bettete Helmbrechts Kopf in ihren Schoß. Sein dunkles, nackenlanges Haar fühlte sich stumpf an. Ein kaum merkliches Zittern lief durch seinen Körper. Gleichmäßig strich sie über die narbigen Wangen, raunte beruhigende Laute in sein Ohr. Die verkrampften Gesichtszüge entspannten sich. Sie atmete auf, fürchtete aber dennoch einen neuerlichen Anfall. Allzu oft hatte sie Ähnliches erlebt. Im Großen Krieg waren immer wieder Fallsüchtige zu behandeln gewesen. Einmal hatte es gar einen hochrangigen Offizier getroffen. Magdalena schloss die Augen und presste sich die freie Hand gegen die Brust. Die kleine Erhebung unter dem Hemd bezeichnete ihr die Stelle, unter der sich der Bernstein verbarg. Selbst durch den Stoff spürte sie die Kraft, die von dem Talisman ausstrahlte. Mit aller Macht kam die Erinnerung zurück, wie sie gemeinsam mit Meister Johann und Roswitha den Fallsüchtigen behandelt hatte. So würde sie es auch mit Helmbrecht halten.
Beruhigt öffnete sie wieder die Augen. Der Kreis der Neugierigen war noch einen Schritt nach hinten gewichen. Stumm und ängstlich richteten sich knapp ein Dutzend Augenpaare auf sie und den Kranken. Die nächsten Stunden würden entscheiden, ob Helmbrecht es für dieses Mal wirklich überstanden hatte oder nicht.
»Schaum vor dem Mund hat er gehabt und wild mit den Augen gerollt. Dazu dieses Zucken und Treten. Nicht einmal mehr ansprechbar war er. Davon ist mir angst und bange geworden.« Pohlmann drehte sich den anderen zu und suchte ihren Blick. Die Verwirrung über das Durchlebte dauerte noch an. »Sein ganzer Körper hat gezuckt und gekrampft. Der Leibhaftige muss in ihn gefahren sein. Es gibt keine andere Erklärung.«
»Der Leibhaftige – meint Ihr wirklich? Ausgerechnet in unserer Scheune. Gott steh uns bei!« Der dicke Wirt lief rot an und bekreuzigte sich rasch. Seine Frau zog das Brusttuch enger. »Den ganzen Abend schon habe ich es geahnt. Diese Herrschaften sind alle so merkwürdig. Lieber Gott, hab ein Einsehen. Nicht auch noch bei uns solche Hexerei!«, jammerte sie.
»Vorsicht!« Pohlmanns Mutter schob sich durch die Reihen der Männer. Dicht hinter ihr tapste ihre blutjunge Schwiegertochter heran. Unter der Haube blitzten wirre Haarsträhnen heraus, die farblosen Augen blickten ziellos umher. Ängstlich klammerte sie sich an die energische Alte, die die blasse, dürre Gestalt um gut einen Kopf überragte und schützend den Arm um sie legte. »Den Leibhaftigen zu nennen, sollten wir vermeiden. Wer weiß, ob er nicht noch hier ist und uns allen Böses antut.«
»Mutter, muss das sein?« Verärgert wies Pohlmann auf seine Gemahlin. Weder die Zurechtweisung, den Teufel nicht beim Namen nennen zu dürfen, noch, dass seine Mutter ihn in aller Öffentlichkeit wie ein Kind behandelte, störte ihn. Allein die Anwesenheit seiner blutjungen Gemahlin erregte seinen Unmut. »Hättest du sie nicht in eurer Kammer bei der Magd lassen können? Wo steckt Hanna überhaupt?«
Magdalena wunderte sich nicht zum ersten Mal, warum er seine Frau nicht direkt ansprach.
»Angesichts der Ereignisse konnte ich deine Frau wohl schlecht oben in der Kammer lassen.« Die Alte schüttelte den Kopf. »Nicht auszudenken, was dort passieren kann. Hanna ist jedenfalls zu nichts zu gebrauchen. Tief und fest wie ein Bär im Winter schläft sie auf ihrem Lager. Nicht mal das Gebrüll eben hat sie aufgeweckt, geschweige denn, dass sie unser Fortgehen bemerkt hätte.« Sie kniff die schmalen Lippen aufeinander und starrte ihren Sohn vorwurfsvoll an. Die anderen Männer ringsumher sahen zu Boden und grinsten. Selbst der Wirt schmunzelte. Angesichts des eben Erlebten waren alle dankbar für die Ablenkung.
»Mit dem Teufel hat das hier nichts zu tun«, schaltete sich Magdalena beherzt ein. Die veränderte Stimmung galt es zu nutzen. »Sicher habt ihr alle schon einmal von der Fallsucht gehört. Ich denke, der gute Helmbrecht hat vorhin einen solchen Anfall erlitten. Morgen früh wird es ihm bereits besser gehen. Wenn er Glück hat, ist und bleibt das sein einziger Anfall.«
»Die Fallsucht – und das willst du gleich auf den ersten Blick erkannt haben?« Ungefragt schob sich Adelaide aus dem Hintergrund nach vorn. Bereitwillig machten die anderen ihr Platz. Der eine oder andere Wachmann betrachtete mit Wohlgefallen die schlanke Gestalt, die selbst in dem einfachen Hemd und lediglich von einem groben Wolltuch bedeckt noch eine beeindruckende Erscheinung war. Argwöhnisch beäugte
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