Hexengold
sie den leblos auf der Seite liegenden Helmbrecht, ließ den Blick mehrmals über die schlanke Gestalt auf und ab wandern und verharrte schließlich oben am Kopf, der immer noch in Magdalenas Schoß ruhte. Im nächsten Moment reckte sie die Nase.
»Solltest du nicht ebenfalls vorsichtiger sein, meine liebe Magdalena?«, fuhr sie fort. »Eine solch schwerwiegende Behauptung aufzustellen, halte ich für sehr gewagt. Im Großen Krieg magst du eine ausgezeichnete Wundärztin gewesen sein, hast den Söldnern Arme und Beine abgesägt, Kugeln aus den Eingeweiden gepult und aufgeschlitzte Bäuche wieder zusammengeflickt. Das befähigt dich jedoch nicht zu solchen Diagnosen. Von der wahren Medizin hast du doch genauso wenig Ahnung wie wir alle.« Mit weit ausholendem Arm zeigte sie in die Runde. Am runden Bauch des Wirts verharrte sie und tippte mit dem schlanken Finger in seine Richtung. »Schickt auf dem schnellsten Weg nach einem ordentlichen Medicus, Herr Wirt. Ich bin mir sicher, Helmbrecht wird es Euch danken, sobald er wieder bei Sinnen ist. Sofern er das jemals wieder sein wird.« Sie verdrehte kurz die Augen, bekreuzigte sich und neigte den Kopf zu einem stillen Gebet.
Verlegen räusperte sich der Hausherr. Die Aufforderung lag nahe. Umso seltsamer, dass bislang keiner daran gedacht hatte. Seine Frau schaltete sich ein: »Das ist keine gute Idee. Der nächste Medicus sitzt in Beeskow, das ist eine halbe Tagesreise von hier entfernt im Nordosten. Bis Lübben in die andere Richtung ist es gar ein ganzer Tag. Bevor also studierte Hilfe eintrifft, wird mindestens ein Tag verstreichen. Dabei wissen wir weder, ob der Medicus wirklich kommt, noch, ob er überhaupt ein probates Mittel gegen Fallsucht weiß. Warum also lasst Ihr die Wundärztin hier nicht tun, was sie für richtig hält? Mir scheint, sie weiß ihm sehr wohl zu helfen. Denkt nur daran, wie sie vorhin gleich die Zunge herausgezogen und ihn damit vor dem Ersticken gerettet hat. Zumindest hat sie eine Idee, wie sie den guten Mann hier vor Schlimmerem bewahren kann. Das ist doch schon einmal eine ganze Menge. Wenn er morgen früh wieder bei sich ist, soll er selbst entscheiden.«
Zustimmendes Gemurmel von den Wachmännern und Fuhrleuten erklang. Pohlmann dagegen musterte Magdalena ausgiebig und kam dabei offenbar zu keinem günstigen Urteil. »Mit Verlaub, gute Frau, ich will Eure Verdienste im Krieg nicht in Abrede stellen. Aber für diesen Fall hier scheint mir eine Wundärztin nicht geeignet. Das, was den guten Helmbrecht ereilt hat, verlangt nach allem, nur nicht nach einem groben Eingriff mit Messer und Säge.«
»Genau!«, nickte seine Mutter. »Ich gebe dir recht, mein Sohn. Immerhin sind wir diejenigen, die den guten Helmbrecht und seine Familie seit langem kennen. Seit Generationen leben unsere Ahnen Tür an Tür in Leipzig. Käme die Neigung zu Fallsucht in seiner Familie vor, wüssten wir davon. Trotzdem …« Sie versäumte es nicht, auch Adelaide einen missbilligenden Blick zuzuwerfen. Das aufreizende Bad zur ungewöhnlichen Stunde mitten in der Woche konnte sie ihr nicht so einfach verzeihen. »Trotzdem sollte man bis zum Eintreffen des Medicus alles tun, den armen Mann gut zu versorgen. Bereitet ihm ein anständiges Bett im Haus, gute Frau Wirtin. Hier in der Scheune wird man ihn kaum lassen können.«
Adelaide ertrug es nicht, der alten Pohlmännin das Feld zu überlassen. Sie schlang sich das Tuch enger um die Schultern und strich die Haare aus dem Gesicht. »Dem kann ich nur zustimmen, meine Teuerste. Ihr seid eine kluge Frau.« Sie hegte nicht die geringste Scheu, sich offen bei der Alten einzuschmeicheln. Sobald sie das zufriedene Lächeln auf dem Gesicht der anderen bemerkte, fügte sie hinzu: »Gerade der Hinweis auf Helmbrechts Familienanlage ist sehr klug. Bei Fallsüchtigen ist die Verwandtschaft von dem Übel zumeist ebenfalls betroffen. Insofern scheint die wahre Ursache für den beängstigenden Zusammenbruch doch anderswo zu liegen. Solange wir diesbezüglich nichts Genaues wissen, sollten wir uns einfach darum bemühen, den armen Mann zu pflegen. Gestattet mir noch einen Vorschlag: Auch ein Priester wird dem Ärmsten in dieser schweren Stunde nicht schaden. Der nächste Pfarrer lässt sich gewiss schneller herbeirufen als der Medicus.« Das kurze Aufleuchten in den Augen der alten Pohlmännin machte deutlich, wie sehr ihr der Vorschlag behagte. Das fromme Gebaren trat den Zweifeln an Adelaides Rechtschaffenheit wirkungsvoll
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