Hexengold
Seltsam: Je weiter sie sich von dem ungeliebten Hausfrauendasein in Frankfurt entfernte, desto mehr verklärte es sich in der Erinnerung. Ihre Finger umklammerten den Bernstein. Nein, es war nicht die tägliche Beschäftigung mit der Wäsche, den Vorräten oder dem Speiseplan, die sie vermisste. Letztlich war es nur Hedwig, die ihr so sehr fehlte. Zum ersten Mal seit den Jahren mit der Hebamme Roswitha im Heerestross hatte sie in Hedwig wieder jemanden gefunden, dem sie sich zutiefst verbunden fühlte. Ohne die Wirtschafterin hätte sie den Alltag als brave Kaufmannsgattin nicht ertragen. Wie es ihr wohl mit der neuen Herrschaft erging? Es tat weh, sich vorzustellen, dass sie sich im Stich gelassen fühlte. Doch Magdalena war keine Wahl geblieben. Zuallererst musste sie Eric in Königsberg finden, alle Unklarheiten über sein rätselhaftes Verhalten ausräumen. Vielleicht konnte sie dann einen Neuanfang mit ihm wagen, an den Wurzeln ihrer beider Familien, und auch Hedwig wieder zu sich holen. Noch einmal umfasste sie den Bernstein, zog ihn unter dem Mieder heraus und küsste ihn. Eric stand ihr vor Augen, das spöttische Schmunzeln um seine Mundwinkel, die weißen Einkerbungen oberhalb der Nasenwurzel und vor allem die tiefgründigen blauen Augen. Nichts wünschte sie sich so sehr, wie wieder ganz in deren Tiefe zu versinken.
Ein lautes Lachen lenkte ihre Aufmerksamkeit in den Hof hinunter. Zwei Gänse waren quer über ein weißes Leintuch marschiert. Die Spuren der Füße waren deutlich darauf zu sehen. Gleich sprang ein Kind munter hinterher. Eine der Mägde entdeckte das Unglück und kreischte auf. Die Wirtin kam aus dem Haus und schimpfte mit dem Kind wie mit der Magd gleichermaßen. Das verstärkte Magdalenas Wehmut. Hedwig hätte es nicht anders gemacht. Ob es richtig gewesen war, das Leben in Frankfurt so Hals über Kopf aufzugeben? Vielleicht hätte sie doch besser warten und sich eine einfache Bleibe suchen sollen, bis Eric von seiner Reise zurückkehrte. Gewiss wäre er wiedergekommen, wie könnte sie je daran zweifeln? Carlottas wegen hätte sie bleiben sollen. Die Unwägbarkeiten der langen Reise sowie die Unsicherheit, was sie in Königsberg erwartete, schienen das Kind sehr zu belasten, wenn sie sich ihr Verhalten in den letzten Tagen vor Augen hielt. Magdalena musste mehr auf sie achten, ihrer Aufgabe als Mutter besser gerecht werden. Erschöpft lehnte sie die Stirn gegen das schmale Holzsims. Widerstrebend gaben die Finger den Bernstein preis.
»Ihr müsst sehr müde sein, Verehrteste.« Helmbrechts wohlklingende Stimme klang frisch. Sie drehte sich zu ihm um. Aufrecht saß er im Bett und lächelte sie an. »Verzeiht, aber ich wäre Euch für eine Erklärung der näheren Umstände sehr dankbar. Es ziemt sich nicht, in Eurem Bett aufzuwachen, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie man dorthin gekommen ist. Bitte habt ein Einsehen und klärt mich über die Umstände auf.«
Sein Lächeln wurde breiter, die Bernsteinaugen glänzten. Das schenkte dem narbigen Gesicht einen eigentümlichen Liebreiz. Gegen ihren Willen starrte sie ihn an.
»Statt hier im Bett zu thronen wie eine königliche Majestät, würde ich nur zu gern aufstehen. Doch da ich Euch den kümmerlichen Anblick meines bescheidenen Hemdes ersparen will, unterlasse ich das besser.« Munter pustete er sich eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn. Die Enden seines dünnen Oberlippenbarts vibrierten. Das brachte Magdalena zum Schmunzeln.
»Seht, Verehrteste, Ihr lacht mich bereits aus. In der Tat muss ich Euch wahrhaft lächerlich erscheinen. Doch es ist gewiss nicht meine Schuld.« Übertrieben legte er die Hand vor die Brust und verneigte sich sitzend. Die Decke verrutschte und entblößte für einen kurzen Moment seine nackten behaarten, muskulösen Beine. Magdalena errötete, als sich ihre Blicke trafen. So schnell aber brachte sie es nicht über sich, den Kopf zu senken. Gestern Abend erst, als die gruselige Schauergeschichte von dem verlassenen Gasthaus erzählt wurde, hatte er sie so angesehen. Ihr Herz raste. Tief in ihrem Innern spürte sie ein wohliges Kribbeln. Nur Eric durfte das in ihr auslösen, schoss es ihr vorwurfsvoll durch den Kopf. Und doch ergab sie sich dem Genuss, in Helmbrechts goldbraune Augen einzutauchen.
»Gestern Nacht ist es Euch nicht sehr gut gegangen.« Sie zwang sich, den Zauber zu durchbrechen, wandte sich dem Tisch zu und wühlte in ihrer Wundarztkiste. Zwar wusste sie genau, wo sie die Phiole mit den
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