Hexengold
entgegen. Schon schien die Alte bereit, ihr Urteil über Adelaide noch einmal zu überdenken.
Diese lächelte und wandte sich an die Wirtin. Auch bei ihr galt es, gut Wetter zu machen. »Was das Praktische betrifft, gute Frau Wirtin«, säuselte sie, »so schlage ich vor, dass Ihr unsere Kammer unterm Dach für den armen Helmbrecht als Lager herrichtet. Meine Base wird gewiss nichts dagegen haben, ihm zuliebe das Feld zu räumen. Immerhin weiß sie selbst am besten, wie sehr dem armen Kranken jede Bequemlichkeit nottut.«
Anerkennendes Lob erhob sich im Kreis der Anwesenden. Die alte Pohlmännin tätschelte Adelaide angesichts dieses beeindruckenden Beweises von Selbstlosigkeit gerührt den Arm. Magdalena biss sich auf die Lippen. Sie vermutete, die Alte war Adelaide insgeheim auch deshalb verbunden, weil sie das eigene Bett behalten durfte.
Die Wirtsleute scheuchten die Magd auf, frisches Weißzeug für das Krankenlager herbeizuholen. Das Mädchen schnaufte unwillig und fing sich damit eine schallende Ohrfeige ein. Die Wirtin entging dadurch der Peinlichkeit, Adelaide beipflichten zu müssen. Pohlmann dagegen wies zwei Wachleute an, sich als Träger für den Kranken bereitzuhalten. Die Versammlung löste sich allmählich auf.
»Was ist los?« Erstaunt stand Carlotta plötzlich wieder da und streckte Magdalena die Wundarztkiste entgegen. »Brauchst du das nicht mehr?«
»Doch, doch«, versicherte sie. »Zuerst aber wird Helmbrecht nach oben in unsere Kammer gebracht. Lauf vor und hilf der Magd, das Bett für ihn zu richten.«
Verwirrt kam Carlotta der Aufforderung nach.
Adelaide indes wollte die Anwesenden nicht sogleich gehen lassen. Mitten im Gang der Scheune breitete sie die Arme aus und räusperte sich. Unwillkürlich hob einer der Wachleute die Laterne. Das gelbrote Licht beleuchtete Adelaides Gesicht von der Seite und sorgte für ein auffälliges Spiel der Linien. Klar umrankte das schwarze Haar das madonnenhafte Gesicht. Das lange, weite Hemd sowie der schlichte Umhang verstärkten den Eindruck. Halb an Magdalena, halb an die anderen Anwesenden gerichtet, verkündete sie: »Bis der Medicus und der Pfarrer eintreffen, obliegt es uns allen, Gott, den Allmächtigen, um Beistand für unseren verehrten Helmbrecht anzuflehen. Das scheint mir das Einzige, was wir derzeit tun können, die bösen Mächte von dem armen Mann fernzuhalten.«
Nach einer weit ausholenden Armbewegung faltete sie die Hände vor der Brust, neigte den Kopf und begann leise das Vaterunser zu sprechen. Nach anfänglichem Zögern folgte einer nach dem anderen ihrem Beispiel. An der Art, wie sie beteten, gaben sie sich als Lutheraner zu erkennen. Die alte Pohlmännin war eine der Letzten, die in das Gebet einfielen. Das aber lag nicht an ihrer Konfession. Erst durch einen Blick in die Runde versicherte sie sich, wie die anderen es mit Adelaides Aufforderung hielten. Um nicht als Einzige außen vor zu bleiben, senkte sie schließlich ebenfalls den Blick und betete bald sogar lauter als die anderen. Ihre Schwiegertochter machte es ihr getreulich nach.
Das andächtige Gemurmel in der düsteren Scheune blieb nicht ohne Wirkung auf den besinnungslosen Helmbrecht. Seine Gesichtszüge entspannten sich mehr und mehr, schließlich fiel ihm der Stock aus dem Mund. Magdalena tastete nach dem Puls und stellte erleichtert fest, dass er gleichmäßig war.
»Es ist überstanden. Gott im Himmel sei Dank!« Laut aufschluchzend fiel Adelaide auf die Knie.
15
Die Schwüle in der Dachkammer war unerträglich. Magdalena trat an die Luke, um etwas frische Luft zu erhaschen. Die Sonne stand hoch am Himmel, das unbeschwerte Strahlen eines trockenen Sommertags aber fehlte ihr. Eine dünne Wolkendecke überzog das Firmament. Die Vögel flogen tief, die Luft flirrte. Am nahen Flussufer patschte ein Hund durchs Wasser. Lärmend jagten Kinder ihn ans jenseitige Ufer. Bald verschwand er im dichten Gestrüpp des Waldes. Eine Schar Gänse schnatterte aufgeregt über die Wiese. Das Weinen eines kleinen Mädchens wehte zu Magdalena an die Luke herauf. Sie wandte den Kopf nach Westen. Dort schoben sich drohend Gewitterwolken zusammen. Es dauerte gewiss nicht mehr lang, und das erste Donnergrollen ließ sich vernehmen. Unten im Hof rafften die Mägde die Wäsche zusammen, die sie am Morgen zum Bleichen auf der Uferböschung ausgelegt hatten.
Bei ihrem Anblick überfiel Magdalena eine eigenartige Sehnsucht nach dem heimeligen Alltag, den sie in Frankfurt gehabt hatte.
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