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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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hatte, das letzte gewiss erst vor wenigen Monaten. Es musste noch an der Brust hängen. Suchend wanderte Adelaides Blick durch die Stube, stieß aber auf keinerlei Hinweis. Weder die Kleinen noch der Ehemann, der für sie alle sorgte, hausten offenbar mit ihr zusammen in der Waldeinsamkeit. Zu gern wüsste sie, wen sie da vor sich hatte. Eine heilkundige weise Frau vermutlich, die gute Gründe hatte, ihre Künste in einem schwer zugänglichen Haus mitten im Wald auszuüben, gerade in unsicheren Zeiten wie diesen. In welcher Beziehung stand Helmbrecht zu ihr? Verstohlene Blicke oder anzügliche Gesten hatte sie jedenfalls nicht bemerkt.
    »Wann ist sie fort?«, brach Helmbrecht das Schweigen.
    »Wer? Die Rothaarige mit ihrer Tochter?« Die Frau hatte damit begonnen, die Reste des zerbrochenen Tiegels aufzuklauben. Mit spitzen Fingern zog sie die Scherben aus der Salbe, um das kostbare Heilmittel für den weiteren Gebrauch zu retten. »Gleich bei Tagesanbruch sind sie aufgebrochen. Ich habe ihr geraten, direkt auf der Straße nach Thorn weiterzureiten. Solange sie ein Schreiben von Euch bei sich trägt, wird sie überall durchziehen können. Auf den kleineren Wegen lauern zwielichtige Gestalten, gerade nach den Verwüstungen der letzten Wochen. Wenigstens hat sie Euer Pferd. Das kennt den Weg zur Küste von ganz allein!« Noch einmal strahlte sie über das ganze Gesicht und stemmte die Hände in die Hüften. Ihre herbe Schönheit wurde dadurch umso deutlicher.
    »Die Österreicher stehen übrigens seit März sowohl auf der linken Weichselseite als auch auf dem jenseitigen Ufer südöstlich der Stadt.« Aus dem, wie sie das sagte, ging nicht hervor, ob ihr das gefiel oder nicht. Auch Helmbrecht ließ sich nicht anmerken, wie er dazu stand. Einzig, dass ihn die Vorgänge um die Stadt interessierten, war offenkundig. Gleich fuhr sie fort: »Die Litauer und die Polen halten sich mehr oder weniger tapfer im Norden, allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Die Schweden sind trotzdem bis Bromberg und Kulmsee ausgefallen und haben dabei ordentlich Beute gemacht. Ein riesiger Zug mit tausend Stück Rindvieh sowie zehn Frachtwagen voll Wein und sonstigem Nachschub, der von Danzig nach Warschau unterwegs war, soll ihnen in die Hände gefallen sein. Außerdem haben sie polnische Offiziere und Soldaten in ihre Gewalt gebracht. Daraufhin hat der gute Sapiha mit seinen Truppen die Vorstädte und sämtliche Mühlen um Thorn herum verwüstet. Inzwischen befindet er sich auf dem Weg nach Osten. Man munkelt, er müsse erst in Ruhe überlegen, wie es weitergehen soll. Wenn Ihr mich fragt, braucht er einfach jemanden, der ihm einen guten Ratschlag erteilt und sein jähzorniges Gemüt kühlt. Ist es nicht unfassbar, dass die polnischen Truppen unter seiner Führung die eigenen Landsleute ausrauben? Die Schweden sitzen nach wie vor fest in Thorn, halten sogar die Brücke über die Weichsel unter Kontrolle. Sie können rein und raus aus der Stadt, ganz wie es ihnen beliebt. Mit dem frisch eroberten Proviant werden sie den Sommer dort sicher gut überstehen, noch dazu, wo die Bürger Thorns inzwischen jegliche Hoffnung auf Befreiung aufgegeben haben. Kein Wunder, sehen sie doch mit jedem Tag, wie hilflos die Polen und ihre Verbündeten der Misere gegenüberstehen.«
    »Heißt das, wir befinden uns hier mitten im Kriegsgeschehen?« Aufgebracht sah Adelaide zwischen der Frau und Helmbrecht hin und her. Als die keine Anstalten machten, ihr zu antworten, stürzte sie sich abermals auf den immer noch halbnackt dasitzenden Helmbrecht und schüttelte ihn rücksichtslos. »Was ist mit meinem Sohn? Weiß er, dass die Gegend im weiten Umkreis voller feindlicher Heere ist? Oder habt Ihr ihn blindlings in die Fronten hineinrennen lassen?«
    Dieses Mal griff die Fremde nicht ein, sondern raffte leise die Tiegel zusammen und verschwand aus der Stube.
    Sobald Adelaide allein mit Helmbrecht war, ließ sie ihn los und sank erschöpft auf einen Schemel neben dem Tisch.
    »Mathias wollte unbedingt zu den Soldaten.« Helmbrechts dunkle Stimme klang fremd.
    Sie hob den Blick. »Was?«, fragte sie tonlos. »Aber er ist doch noch ein Kind.«
    »Da täuscht Ihr Euch wohl sehr. Euer Sohn ist schon lange kein Kind mehr. Die ganze Reise über war mir das bereits klar. Allen war es klar. Nur Euch als Mutter ist das nicht aufgefallen, weil Ihr es nicht wahrhaben wolltet. Kein einziges Mal habt Ihr Euch darum gekümmert, dass er emsig die Nähe der rauen Fuhrleute gesucht hat

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