Hexengold
auf die Straße. Magdalena schmunzelte. Sie genoss das Gefühl des Alltäglichen, nach dem sie sich in den letzten Tagen verzweifelt gesehnt hatte. Wie sehr hatte sie gehofft, es wendete sich alles zum Guten, sobald sie Eric wieder in den Armen hielt. Nun aber war sie hin- und hergerissen zwischen Bangen und Hoffen, wusste weniger denn je, wie es weitergehen sollte, seit sie vor vielen Wochen aus Frankfurt aufgebrochen waren.
»M-M-Magdalena!« Ein stammelndes Rufen riss Magdalena zurück in die Wirklichkeit. Langsam drehte sie sich um und blinzelte in die düstere Stube. Auf dem kleinen Tisch neben dem Bett blakte eine Talglampe. Noch waren die Vorhänge an den Fenstern halb zugezogen. Nur zögernd drang die Helligkeit des frühen Morgens durch den schmalen Spalt. Das war es nicht allein, was in dem Raum für beklemmende Stimmung sorgte.
Sie trat an das breite Bett vor der rechten Längswand. Zwischen den dicken Kissen und Federbetten war der abgemagerte Körper Erics kaum zu erkennen. Die Blässe seiner Haut und das grau gewordene Haar hoben sich nur schwach von dem hellen Leinen des Bettzeugs ab. Das flackernde Talglicht verlieh dem bleichen Gesicht ein bizarres Aussehen. Schlaff lagen Erics Hände auf der Decke. Der Blick seiner einstmals so tiefgründigen, nunmehr nur noch müden blauen Augen war kaum fähig, sich auf sie zu konzentrieren und bei ihr zu verharren. Der mitleiderregende Anblick, den die einst so eindrucksvolle, vor Kraft strotzende Figur ihres Gemahls inzwischen bot, führte ihr stets von neuem erbarmungslos vor Augen, wie sehr sie sich in den letzten Wochen über die Wahrheit hinweggetäuscht hatte. Der Eric, in den sie sich einst verliebt hatte, existierte längst nicht mehr! »Niemand ist der, den man seit langem zu kennen meint«, kam ihr wieder in den Sinn. Mühsam schluckte sie die Tränen hinunter.
Ein heftiges Fieber hielt Eric seit Wochen fest in seinen Klauen. Es rührte von der Entzündung, die sich an der alten Narbe quer über den Bauch gebildet hatte. Schon während seiner langen Reise musste die Wunde ständig genässt und immer wieder auch geblutet haben. Bei der Ankunft in Königsberg war es zum Zusammenbruch gekommen. Tagelang war Eric nicht ansprechbar gewesen, war von einem Krampf in den anderen gefallen, von Schüttelfrost erfasst, im nächsten Moment von unbeschreiblicher Hitze übermannt worden. Tags zuvor war das Fieber zwar endlich gesunken, dennoch schien der geplagte Mensch dort im Bett nur noch eine leere Hülle, eine schwache Erinnerung an den Mann, den sie von Kindesbeinen an als ihren Lebensretter verehrt hatte. Eric war nicht mehr derjenige, den sie seit frühester Jugend liebte. Bei seiner Abreise aus Frankfurt vor zwölf Wochen hatte er sie schamlos hintergangen. Immer wieder hatte sie seither davon geträumt, dass sich alle Missverständnisse aufklärten, sobald sie einander wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Nun aber lag er nahezu ohne Bewusstsein vor ihr, kaum mehr in der Lage, ihren Namen auszusprechen, geschweige denn, sie über seine wahren Beweggründe zu unterrichten.
Sie schloss die Augen, fühlte die von Tränen verklebten Wimpern. Unbändige Angst erfasste sie. Wenn er jetzt starb, würde sie aus seinem Mund niemals mehr die Wahrheit erfahren! Er durfte sie jetzt nicht verlassen. Solange er noch atmete, bestand zumindest die schwache Hoffnung, von ihm selbst zu erfahren, was geschehen war. Wenn er sich doch wenigstens ein einziges Mal noch in den strahlend schönen, treuherzigen Mann zurückverwandelte, mit dem sie in jenem Sommer in Freiburg die aufregendsten Nächte ihres Lebens verbracht hatte! Allein bei der Erinnerung an die Stunden auf dem Heuschober kehrte das wohlige Prickeln in ihren liebesentwöhnten Körper zurück. Unwillkürlich umklammerten ihre Finger den Bernstein. Das Liebespfand aber, das sie stets wieder zusammengeführt hatte, bewirkte nichts mehr. Seine Kraft schien erloschen, ähnlich der Lebenskraft, die aus dem Körper ihres Mannes schwand. Sie schluchzte auf und schlug sich im nächsten Moment die Hand vor den Mund. Eric durfte nichts von ihrer Verzweiflung spüren. Sie musste stark bleiben.
Wieder schlossen sich ihre Finger um den Bernstein, sehnten inständig das altvertraute Gefühl der Stärke herbei. Sie schickte ihre Gedanken auf Wanderschaft, weit weg in frühere Zeiten, als Eric noch ein Held und nicht ein elender, kranker Mann gewesen war. Ein letztes Mal versetzte sie sich zurück in das
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