Hexengold
Zuhause!« Aufgebracht stemmte die Mutter die Hände in die Hüften. Ihre grünen Augen funkelten. »Königsberg ist unser Zuhause.« Sie hielt inne.
Carlotta nickte stumm. Sie hatte gern in Frankfurt gelebt, aber Königsberg gefiel ihr nicht minder. Sie würde sich daran gewöhnen. »Vater wird weder hier noch dort je wieder bei uns sein. Da ist es wahrscheinlich einfacher, ihn in einer neuen Stadt zu vermissen, als in der alten an jeder Hausecke an ihn erinnert zu werden.«
Das klang vorwurfsvoller, als sie beabsichtigt hatte. Rasch fasste sie nach der Hand der Mutter und bat sie mit einem Blick um Verzeihung. Ein kurzes Lächeln huschte über das geliebte schmale Gesicht mit dem spitzen Kinn und den hohen Wangenknochen. In den letzten Tagen waren viele Falten in den Augenwinkeln aufgetaucht. Auf einmal schien die ehedem so junge Frau um Jahre gealtert. Carlotta erschrak.
»Du hast recht. In unserem neuen Zuhause werden wir nicht auf Schritt und Tritt schmerzlich an seinen Tod erinnert.« Magdalena trat zum Tisch und wühlte in einigen Papieren. »Ich habe dich vorhin gesucht, weil ich gute Nachrichten habe.«
»Von Mathias?«, platzte Carlotta heraus, um im nächsten Moment das Erglühen ihres Gesichts zu bemerken. Heiser fügte sie hinzu: »Ist Tante Adelaide endlich eingetroffen?« Als ihre Mutter nicht antwortete, fragte sie enttäuscht: »Hast du wenigstens eine Nachricht, wo sie stecken und wann sie hier sein werden?«
»Tut mir leid, Liebes«, sagte Magdalena leise und legte die Papiere wieder auf den Tisch. Sanft nahm sie Carlotta in den Arm und drückte sie gegen ihre flache Brust. Ihre Hände fühlten sich kalt an. Das war selbst durch den Leinenstoff des Kleides zu spüren. »Ich wusste nicht, wie sehr du dich nach ihm sehnst. Ich dachte, das wäre vorbei.«
»Was hast du erfahren?« Carlotta befreite sich aus der Umarmung und wischte sich die Wangen trocken. Schniefend stellte sie sich an den Tisch und warf einen Blick auf die Briefe, die dort ausgebreitet waren. Mehrere Siegel wiesen darauf hin, dass es sich um wichtige Urkunden handelte. Andere Blätter waren von der Sonne verblichen und gewiss schon mehrere Jahre alt.
»Es sind Nachrichten vom Rat und von der Kaufmannsgilde. Ein Bote hat sie eben überbracht. Übermorgen, also am Montag schon, werden wir beide dort empfangen. Sie haben Erics Briefe von seinem Vetter Englund als Beweise anerkannt, um die Unschuld der Grohnerts zu akzeptieren. Du erinnerst dich, du selbst hast sie mit Mathias zusammen in der Sandgasse gefunden. Vater hat sie die ganze lange Reise über bei sich aufbewahrt, so dass ich sie dem Rat übergeben konnte.«
»Schön.« Mehr wusste Carlotta dazu nicht zu sagen.
Magdalena runzelte die Stirn. »Ich weiß, wie schwer es dir fällt, meine Aufregung über die alte Familienfehde nachzuvollziehen. Immerhin ist das alles über dreißig Jahre her. Trotzdem ist es wichtig, dass das immer noch herrschende Misstrauen den Grohnerts gegenüber ein Ende findet. Dank Englunds Aufzeichnungen, für die sich mehrere Zeugen verbürgt haben, wird Vaters Familie von dem Vorwurf befreit, meinen Onkel und meinen Vater wider besseres Wissen des schweren Betrugs mit unreinem Bernstein bezichtigt zu haben. Du erinnerst dich: Der Schande wegen hat mein Vater die Stadt verlassen und sich als Söldner im Großen Krieg verdingt, was ihn vor vierzehn Jahren bei Freiburg das Leben gekostet hat. Aber auch die Grohnerts konnten nicht mehr in Königsberg bleiben, nachdem sich der Betrug als falsche Unterstellung erwiesen hatte. In Magdeburg haben sie zwar rasch als Kaufleute Fuß gefasst, sind aber dem großen Brand 1631 zum Opfer gefallen. Nicht nur die Wirtin hat das als gerechte Strafe Gottes bezeichnet. Jetzt ist für alle klar, dass sie selbst falschen Hinweisen erlegen sind und nichts Böses gegen meine Familie im Schilde führten.«
»Warum sind Englunds Briefe noch so wichtig? Feuchtgruber, Imhof und Diehl haben doch bereits für Vater und dich gebürgt. Damit ist klar, dass du die rechtmäßige Erbin der Singeknechts bist. Es ist also vollkommen gleichgültig, was man über die Grohnerts und die alten Geschichten denkt.«
»Nein, ist es nicht. Es würde immer der Geruch des Unehrenhaften am Namen Grohnert hängen bleiben, gäbe es nicht diese Aufzeichnungen«, erklärte Magdalena geduldig. »Vaters Vetter Englund hat herausgefunden, dass litauische Kaufleute meinem Oheim, Paul Singeknecht, die betrügerischen Bernsteine untergejubelt und auch
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