Hexengold
den Lagerarbeiter bezahlt haben, damit er den schlechten Bernstein in Rüböl reinwäscht und all diese Dinge an die Grohnerts verrät. Das hat Englund an seinen zweiten Vetter, deinen Onkel Vinzent, nach Frankfurt geschrieben. Er war der Einzige aus der Verwandtschaft, der im Großen Krieg mit einem festen Wohnsitz zu erreichen und damit als Bewahrer dieser Informationen zu behelligen war. Deinen Vater hatte Englund zu der Zeit schon aus den Augen verloren, wusste aber, dass er früher oder später zu Vinzent zurückkehren und dort die Aufzeichnungen finden würde.«
»Was geschieht jetzt mit diesen Litauern? Kann man sie nach all den Jahren überhaupt noch bestrafen?«
»Das wäre schön. Leider weiß man nicht, wer sie waren«, fuhr Magdalena fort. »Wichtig ist: Sowohl der Rat der Stadt Königsberg als auch die Kaufmannszunft erkennen dank dieser Briefe an, dass die Grohnerts damals ebenso im besten Wissen und mit bestem Gewissen gehandelt haben wie auch Paul Singeknecht, der nichts von den Kniffen seines Lagerarbeiters wusste. Damit sind sie beide gleichermaßen Opfer von Betrügereien geworden und haben stets ehrenhaft gehandelt. Alle Vorwürfe und Ehrabschneidungen sind für beide Seiten null und nichtig. Sowohl die Grohnerts als auch die Singeknechts und wir als ihre rechtmäßigen Nachfahren erhalten das volle Bürgerrecht und auch das Recht, den Bernsteinhandel wie das Kontor künftig weiterzuführen. Alles Unehrenhafte wird aus den Annalen getilgt.«
»Und was ist mit Mathias und Tante Adelaide? Sie gehören doch auch zur Familie. Werden wir je erfahren, was aus ihnen geworden ist?« Zaghaft versuchte Carlotta es abermals. Wieder war eine warme Umarmung die einzige Antwort ihrer Mutter.
Traurig schälte sie sich frei und trat zum Fenster, sah auf die Langgasse und hinüber zum Grünen Tor. Auf ihrem täglichen Lauf schickte sich die Sonne gerade an, dahinter aufzutauchen. Irgendwann, das wünschte sich Carlotta sehnlichst, würde auch Mathias dort erscheinen.
13
Die Augustschwüle drang nicht in das Innere des Gotteshauses vor. Stattdessen umfing wohltuende Kühle Magdalena, als sie durch den hoch aufragenden, weiß getünchten Innenraum schritt. Er war leer. Laut hallten ihre Schritte auf dem Steinboden. Sie versuchte, leiser aufzutreten, schlich schließlich auf Zehenspitzen. Die schlichten Bleiglasfenster schenkten ein gelbliches Nachmittagslicht. Tausende Staubkörner tanzten in den schräg einfallenden Sonnenstrahlen. Voller Ehrfurcht ging Magdalena durch den kargen Kirchenraum in die rechte Seitenkapelle hinüber. Der Verzicht auf jegliche zur Schau gestellte Pracht, wie sie in katholischen Gotteshäusern üblich war, befremdete Magdalena jedes Mal von neuem. Wohl fühlte sie sich in dem streng lutherischen Bau nicht.
Endlich erreichte sie die Familiengruft der Grohnerts. Erleichtert atmete sie auf. Die Gemeinde hatte ihren Frieden mit der Familie geschlossen. Erics sterbliche Reste waren zur ewigen Ruhe neben die Gebeine seiner Ahnen gebettet worden. Auch eine Inschrift im Gedenken an seine Eltern hatte sie auf dem Epitaph anbringen dürfen. Fern der Heimat waren die Ärmsten der sinnlosen Zerstörungswut des Großen Krieges zum Opfer gefallen. Kein irdisches Grab war ihnen beschieden, ihre Asche in alle Winde zerstreut. Magdalena war dankbar, dass so ihre Namen der Nachwelt überliefert wurden. Am Vortag erst waren die Inschriften auf der weißen Marmorplatte fertig geworden. Gerührt stand sie nun davor und musterte das Epitaph, das unweit des schlichten Altarraums im Boden eingelassen war. Nach fast drei Jahrzehnten waren Eric und seine Eltern in den Kreis der Ihren zurückgekehrt. Im nächsten Umfeld erinnerte eine Vielzahl ähnlicher Steinplatten an weitere alteingesessene Bürgerfamilien aus dem Kneiphof. Leise sprach Magdalena ein Vaterunser und das Glaubensbekenntnis. Dass sie ihres katholischen Bekenntnisses wegen ein lutherisches Gebet schuldig blieb, würde ihr oben im Himmel gewiss verziehen.
Ein letztes Mal wanderte ihr Blick über die Inschrift. Wie so oft erfasste sie ein Zittern, als ihre Augen an Erics Sterbedatum hängen blieb. Der siebzehnte Juni war ein Schwendtag. Obendrein war er in diesem Jahr auf einen Montag gefallen. Hedwig hatte recht. Solch glücklose Tage bargen Unheil in sich.
So vieles hatte Eric ihr am Ende zwar noch sagen können, eine schmerzliche Frage aber blieb für immer unbeantwortet. Nie mehr würde sie aus seinem Mund erfahren, ob er ihretwegen oder
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