Hexengold
ein Schuhmacher suchte seine Leisten zusammen. Aus offen stehenden Fenstern wehte der Geruch nach deftiger Suppe. Plötzlich schoss eine schwarze Katze von rechts aus einer Gasse heraus. »Jesses Maria!« Eine Frau bückte sich und hob eine Handvoll kleiner Steine auf, die sie dem Tier hinterherwarf. Dann erst bekreuzigte sie sich. »Komm, schneller!«, raunte Adelaide Mathias ins Ohr und lenkte ihre Schritte in die Fahrgasse.
»Warum gehen wir nicht gleich nach Hause?« Unerwartet begehrte ihr halbwüchsiger Sohn auf. Seine Stimme schwankte zwischen hellem Kinderton und dunkler Männerstimme. Verwundert betrachtete sie ihn. Trotz seiner vierzehn Jahre war er bereits eine Handbreit größer als sie. Von ihr hatte er die tiefschwarzen Haare und die auffällig helle Haut. Eitrige Pusteln verunzierten sie an Nase und Kinn. Nahezu schwarz stachen die Augen aus dem schmalen Gesicht heraus. Die große Nase, die es in zwei ebenmäßige Hälften teilte, erinnerte als Einziges an seinen Vater. Auch er trug die vorgeschriebene Trauerkleidung. Der spitze Hut ließ ihn noch ein Stück größer erscheinen. Die Zipfel seines langen Mantels aus schwarzem Tuch schleiften dennoch über den Boden. Die Füße steckten in Stiefeln, die der Regen und Unrat auf den Straßen ihres Glanzes beraubt hatten.
Adelaide seufzte und schob ihn einfach weiter. Bald hatten sie ihr Ziel erreicht: Erics und Magdalenas Anwesen am Garküchenplatz, direkt an die Fahrgasse grenzend. Nun war es an Mathias, verstimmt aufzuseufzen. Sein Antlitz verdüsterte sich, als er die für einen Jüngling seines Alters buschigen Augenbrauen zusammenzog. Adelaide schenkte dem keine Beachtung. Wie all die Tage zuvor postierte sie sich im Schatten der niedrigen Gebäude neben der Mehlwaage, gegenüber dem Hoftor, und wies ihren Sohn an, das Gleiche zu tun.
Noch herrschte reger Betrieb auf dem Platz. Mehl wurde verladen. Ein Junge feilschte mit einem Händler, ein anderer schimpfte einen Knecht vorlaut und jagte ihn davon. Eine Hausfrau, die die für Bürger bestimmte Stunde an der Mehlwaage verpasst hatte, zeterte, weil man ihr kein Mehl mehr verkaufen wollte. Adelaide beachtete all das kaum, sondern richtete ihre Aufmerksamkeit ganz auf das Anwesen an der gegenüberliegenden Straßenseite.
»Warum gehst du nicht einfach zu Tante Magdalena und fragst, wie es Onkel Eric geht?« Mathias gab sich keine Mühe, seinen Unmut zu verschleiern. Rastlos scharrten seine Füße auf dem regennassen Boden.
»Das weißt du genau. Und jetzt sei leise!« Beschwörend legte sie sich den Finger auf die Lippen und starrte wieder zum Haus.
Das Licht wurde fahler. Alte Frauen waren auf dem Weg zur Vesper in Sankt Bartholomäus. Mütter riefen ihre Kinder nach Hause, Gesellen und Knechte räumten ihr Handwerkszeug auf und schlurften davon. Allmählich leerte sich der Platz.
Auf einmal öffnete sich das Tor an Magdalenas Haus. Um die drei Gestalten zu erkennen, die auf die Straße traten, brauchte Adelaide gar nicht erst die Augen zusammenzukneifen: Wie schon einige Male zuvor in den letzten Wochen handelte es sich um Diehl, Feuchtgruber und Imhof. Eine bärtige Männergestalt schloss hinter ihnen die knarrende Eichentür. Die drei ehrbaren Genossen aus der Frankfurter Kaufmannszunft hüllten sich in lange Mäntel und zogen die Hüte tiefer ins Gesicht. Adelaide versetzte es einen Stich, zu sehen, dass sie ihren Krankenbesuch bei Eric auch an diesem Tag absolviert hatten. Ihr selbst hatten die drei bislang nur ein Mal die Aufwartung gemacht, um sie des Beileids der Zunft über Vinzents Tod zu versichern. Ohne sich umzublicken, wandten sich die gut gekleideten Herren zum Domplatz hinüber, der weißbärtige Feuchtgruber in der Mitte, flankiert von den beiden größeren Gefährten. Adelaide wartete, bis sie im Getümmel verschwunden waren, dann trat sie aus dem Versteck heraus. »Auf, nach Hause!«, wies sie Mathias an, als wäre es allein seine Schuld, dass sie bei dem unwirtlichen Herbstwetter noch immer draußen unterwegs waren.
Unablässig schnürte der Regen vom Himmel. Der nasse Stoff der Heuke drückte Adelaide schwer auf die Schultern, der Zipfel der Schnebbe klebte auf der Stirn. Wenigstens hatte sie an die Patten gedacht und bewahrte so ihre Schuhe vor dem Durchweichen auf dem schlammigen Boden. Sie warf einen prüfenden Blick auf Mathias’ dreck- und kotverschmierte Stiefel. Auch der Saum seines Mantels war völlig verschmutzt. Der Junge achtete noch viel zu wenig darauf, dass
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