Hexengold
Kolophonium und Leinöl enthielt, und strich davon großzügig über die Naht. Geschickt ging ihr Carlotta beim abschließenden Verbinden zur Hand.
»Ich bringe Euch ein frisches Hemd.« Ohne anzuklopfen, watschelte Hedwig in die Stube. Erschöpft sah Magdalena auf. Jeden anderen hätte sie wutentbrannt des Zimmers verwiesen. Lediglich die Köchin durfte sich eine solche Freiheit erlauben. »Das Bett nebenan ist ebenfalls noch einmal ganz frisch bezogen. Sollen die Männer den Herrn wieder hinübertragen? Die Mägde kommen gleich und machen die Stube sauber. Für Euch habe ich unten im Waschhaus einen Zuber Badewasser bereitet.« Sie reichte Magdalena ein sauberes Tuch, damit sie sich die blutverschmierten Hände abwischen konnte. Auch an ein zweites für Carlotta hatte sie gedacht.
»Danke dir, Hedwig.« Zum ersten Mal seit dem frühen Morgen fühlte Magdalena sich etwas erleichtert. »Carlotta, steig du als Erste in den Zuber. Ich säubere noch meine Instrumente.«
»Ich bleibe bei Vater.« Carlotta griff nach Erics Hand. »Du kannst ruhig gehen, wenn du magst.«
»Lass nur, Kleines. Er schläft. Die nächsten Stunden können wir nichts für ihn tun außer hoffen, dass er kein Fieber bekommt.« Magdalena träufelte einige Tropfen Oleum rosatum aus einer kleinen Phiole auf ihre Fingerspitzen und bestrich damit Erics Schläfen. Rasch breitete sich der wohltuende Duft aus und überlagerte den erdigen Geruch nach Blut. Erics Gesicht entspannte sich. Er schien tief und fest zu schlafen. Sie fühlte seinen Puls. Beruhigt faltete sie ihm die Hände auf dem Leib. Die Stirn glänzte noch etwas, trotzdem war sie sicher, dass die größte Gefahr gebannt war. Sobald Carlotta den Raum verlassen hatte, nestelte sie den Bernstein unter ihrem Mieder hervor und hauchte dankbar einen Kuss darauf.
3
Der Wind zerrte an Adelaides Umhang. Unbarmherzig bliesen die Böen von Westen her über den Peterskirchhof und wirbelten Laub auf. Der arkadengesäumte Platz war menschenleer. Trostlos lagen die aufgehäuften Erdhügel da. Viele der Kreuze und Grabsteine ragten schräg empor. Auf einigen war die Schrift kaum noch zu erkennen. Scheinbar ziellos strich eine Katze umher, sprang schließlich geschmeidig auf einen Gedenkstein und thronte dort hoheitsvoll. Von einem nahen Obstgarten stießen Vögel herüber. Aufmerksam verfolgte die Katze ihre Flugbahnen. Auf der Suche nach Würmern schwebten sie dicht über dem Erdboden. Eine heftige Windböe brachte eine Krähe dicht vor den grünen Augen der Katze ins Trudeln. Flink sprang sie auf sie zu und schlug mit der Tatze nach ihr. Das Fauchen und Krächzen der beiden kämpfenden Tiere durchbrach die Stille. Adelaide beobachtete das aufgeregte Flügelschlagen. Schwarze Federn wirbelten auf. Im letzten Moment entkam die Krähe dem gewaltsamen Tod. Von neuem senkte sich Ruhe über den Kirchhof, auch der Wind flaute ab.
Adelaide schlang die Enden ihrer wadenlangen Trauerheuke enger um die Brust und stierte weiter auf Vinzents frisches Grab. Fast zwei Wochen waren seit der Beerdigung vergangen. Nach wie vor konnte sie nicht fassen, was geschehen war. Tag für Tag stand sie vor dem hellen Kreuz aus Fichtenholz, immer wieder aufs Neue darum bemüht, Vinzents gewaltsamen Tod endlich als Tatsache zu begreifen. Es gelang ihr nicht. Jede einzelne Faser ihres Körpers sträubte sich dagegen. Kein einziges Mal hatte sie bislang geweint, keine Minute lang geschluchzt oder laut geklagt. Sie konnte den Verlust nicht annehmen. Die Spitze der dreieckig geformten Schnebbe flatterte ihr in die Stirn. Sie fasste mit der linken Hand danach und presste sie fest auf die Haut. Von der feuchten Oktoberkälte spürte sie nichts. Erst als ihr die Regentropfen über die Wangen rannen, wurde ihr bewusst, dass sie nicht mehr länger vor dem Grab ausharren konnte.
»Lass uns gehen«, wandte sie sich an Mathias. Der Junge hielt sich einen halben Schritt hinter ihr. Wie all die Tage seit Vinzents Beerdigung hatte der Vierzehnjährige sie folgsam zum Friedhof begleitet und stumm neben ihr gestanden. Was er am Grab seines grausam verschiedenen Vaters empfand, war ihm nicht anzumerken. Schweigend verließ er an der Seite seiner Mutter den Friedhof. Sie überquerten den gepflasterten Vorplatz und wandten sich zurück in die innere Stadt.
Der Tag war bereits weit fortgeschritten. Das dichte Grau der Wolken verwehrte der Sonne den Durchbruch, es dämmerte bereits. Die ersten Läden schlossen, ein Schmied packte sein Werkzeug ein,
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