Hexengold
Magdalena fasste nach dem Bernstein unter dem Mieder. Ein Frösteln durchlief sie, bevor sie den Rücken durchstreckte und mit fester Stimme erwiderte: »Was nützt es, Hedwig? Bis morgen zu warten und damit den glücklichen Sonntag zum Operieren entheiligen, hilft uns auch nicht. Wenn wir Pech haben, hat meinen Gemahl bis dahin das Wundfieber erfasst und tötet ihn.«
In knappen Worten wies sie die Alte an, den Mägden Leinen zum Verbinden herauszusuchen und den Kessel mit kochendem Wasser in die Wohnstube bringen zu lassen. Dann eilte sie ins Kontor.
Ihre Finger zitterten, als sie die Tür öffnete. Sie begriff nicht, warum sie die Aussicht auf die Operation derart durcheinanderbrachte. In den letzten Jahren des Großen Krieges hatte sie als Wundärztin mehr Leiber zusammengeflickt, als so mancher Schneider in seinem ganzen Leben Gewänder zusammennähte. Selbst Eric hatte sie mehrmals in einem schier aussichtslosen Kampf zwischen Leben und Tod vor sich liegen gehabt. Bislang war es ihr immer gelungen, aus diesen Gefechten als Siegerin hervorzugehen und den Geliebten zu retten. Am besten, sie vergaß Hedwigs Hinweis auf den heutigen Schwendtag rasch. Darauf hatten sie auch im Krieg keine Rücksicht nehmen können. Schwebte einer zwischen Leben und Tod, scherte sich keiner darum, was der Kalender riet.
Verstört sahen die beiden Schreiber von den Pulten auf. Wortlos eilte Magdalena zum riesigen Tresor aus geschnitztem Nussbaumholz an der rückwärtigen Wand. In einer schlichten Holzkiste verwahrte sie darin ihre kostbaren Wundarztutensilien, die ihr Meister Johann, ihr einstiger Lehrherr, nach dem Krieg vererbt hatte. Voller Wehmut strich sie über das Lederetui. Als Eric vor zwölf Jahren mit der schrecklichen Wunde am Leib vor ihr auftauchte, war es erstmals zum Einsatz gekommen. Seither schienen die Folgen der Verletzung sowohl ihn als auch sie nicht mehr loszulassen. Doch es galt, sich nicht in Erinnerungen zu verlieren, sondern Erics neuerliche Verwundung zu behandeln. In wenigen Handgriffen hatte sie beisammen, was sie brauchte, und rannte hinauf in die Wohnstube.
In dem langgestreckten Raum hatte Hermann mit Hilfe der beiden Knechte alles nach ihren Wünschen hergerichtet. Gerade trugen sie Eric aus dem angrenzenden Schlafgemach herüber. Carlotta folgte ihnen dicht auf den Fersen. Die blauen Augen der Zwölfjährigen klebten am Gesicht des Vaters. Die schmalen Lippen hatte sie fest zusammengepresst, während sie hinter der kleinen Prozession zum Tisch hinübertrippelte. Magdalenas Anwesenheit schien sie nicht zu bemerken, zu sehr war sie mit dem Vater beschäftigt.
Trotz der bedrohlichen Lage konnte Magdalena sich ein stolzes Lächeln nicht verkneifen. Bis in die letzte Geste hinein erwies sich die Kleine als ihrer beider Tochter: Das rötlich gelockte Haar und die zierliche Figur hatte sie von ihr, ebenso verriet ihr Interesse an der Wundarztkunst, wessen Tochter sie war. Bei jeder Gelegenheit ging sie Magdalena in diesem Bereich zur Hand. Gleichzeitig hatte sie nicht nur Erics blaue Augen, sondern auch sein kaufmännisches Interesse geerbt. Die sommersprossige Haut und die langen, schmalen Finger konnten von ihnen beiden stammen.
»Ist alles bereit?« Magdalena schob die Knechte beiseite und breitete ihr Chirurgenbesteck auf dem Fenstersims aus. »Dann lasst uns allein. Hermann, du wachst vor der Tür. Die Knechte sollen den schweren Wasserkessel aus der Küche herauftragen. Schick einen von ihnen noch nach einem Krug Branntwein. Auch für euch ist ein Krug erlaubt. Hedwig soll nicht geizen und jedem im Haus einen Schluck anbieten. Sorg nur dafür, dass Ruhe herrscht. Carlotta wird mir helfen, hier drinnen zurechtzukommen.«
Als die Männer verschwunden waren, sah sie kurz zu ihrer Tochter. Stolz, weil ihre Mutter sie vor dem männlichen Gesinde ausdrücklich als ihre Gehilfin bezeichnet hatte, krempelte sich die Kleine die Ärmel hoch. Magdalena wandte sich unterdessen Eric zu und begann, ihn vorsichtig zu entkleiden.
Das Bewusstsein hatte er noch nicht wiedererlangt. Sein Brustkorb hob und senkte sich allerdings regelmäßig. Carlotta fühlte den Puls. »Schwach, aber regelmäßig«, stellte sie fest.
»Lass uns hoffen, dass es so bleibt«, sagte Magdalena und machte sich an die Arbeit. Einmal noch wurde sie unterbrochen, weil eine der Mägde den Branntwein brachte.
Rock und Hemd hatte sie Eric mit Carlottas Hilfe rasch ausgezogen. Das Abwickeln der verschmutzten und verklebten Leinenstreifen
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