Hexengold
Hände vors Gesicht. Sie hörte ihn schluchzen. Gern hätte sie ihn in den Arm genommen und getröstet, doch sie wagte nicht mehr, ihn zu berühren. Hilflos sah sie zu, wie er mit sich rang.
»Das Schlimmste …« Nach einer endlos scheinenden Weile ließ er die Hände sinken und schaute ins Leere. Seine Stimme klang tränenerstickt. Magdalena konnte ihn kaum verstehen. »Das Schlimmste ist«, setzte er wieder an, »dass Vinzent und ich uns gestritten haben. Wutentbrannt hat er seinem Pferd die Sporen gegeben und ist einige Stunden lang allein vor uns hergeritten.«
»Gestritten habt ihr beide euch doch öfter. Trotz allem wusste er, dass ihr die besten Freunde seid. Er wird nicht im Zorn von dir in die Ewigkeit geschieden sein. Darüber musst du dir keine Gedanken machen.«
»Du verstehst mich nicht! Er war allein, als sie ihm aufgelauert haben, mutterseelenallein!« In seinen Augen spiegelte sich das Entsetzen, das ihn bei der Erinnerung an das Geschehen erfasste. Magdalena ahnte, wie es in ihm aussah. Er fühlte sich als Verräter an seinem Freund. Nie würde er sich verzeihen, ihn in der entscheidenden Stunde seines Lebens im Stich gelassen zu haben, selbst wenn ihm alle Welt versicherte, dass er richtig gehandelt und Vinzent allein die Schuld an dem Streit gehabt hatte.
»Hätten wir uns nicht gestritten, wäre ich an seiner Seite gewesen und hätte ihm beistehen können.« Eric senkte den Kopf.
»Was hätte das geändert?« Nun verlor Magdalena die Geduld. »Wahrscheinlich wärst du jetzt auch tot. Das ist der einzige Unterschied. So aber hast zumindest du überlebt und kannst das Kontor in Vinzents Sinn weiterführen, dich außerdem um seine Frau und seinen Sohn kümmern. Außer dir haben sie niemanden mehr!«
»Ach, Magdalena, Liebste, du hast ja keine Ahnung.« Er richtete sich wieder auf und schüttelte bedauernd den Kopf.
»Vielleicht hätte ich die, wenn du mir endlich sagen würdest, wie es wirklich um das Kontor und uns bestellt ist. Immerhin bin ich deine Frau. Wem, wenn nicht mir, solltest du dich anvertrauen?« Eindringlich sah sie ihn an.
»Und was, denkst du, sollte das nützen?« Entschlossen schlug er das Federbett zurück, schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. Ehe sie so recht begriff, hatte er die Hosen angezogen, stopfte das Hemd in den Bund und ließ sie allein im Schlafgemach zurück. Wenig später hörte sie feste Schritte auf der Treppe und kurz darauf das Quietschen der Tür zum Kontor unten im Erdgeschoss.
Sie ging ihm nicht nach. Natürlich war es Irrsinn, dass er in seinem Zustand um diese späte Stunde arbeitete, am Ende wahrscheinlich gar die ganze Nacht über den Büchern verbrachte. Wie aber wollte sie ihn zur Vernunft bringen, wenn er sich so vehement jeder Hilfe verweigerte?
5
Adelaide gewährte dem vierzehnjährigen Mathias zunächst keine Gelegenheit, ausführlich mit ihr über seine Pläne zu reden, in das Kontor an der Fahrgasse einzutreten. Sie ging ihm aus dem Weg, forderte ihn nicht einmal auf, sie auf dem täglichen Gang zum Friedhof zu begleiten. Selbst die gemeinsamen Essen in der düsteren Stube in der Sandgasse verliefen schweigend. Am zweiten Tag spürte sie, wie Mathias’ Mut sank.
»Willst du in die Lateinschule zurück?«, fragte sie und legte den Löffel beiseite. Die Suppe, die Emma an diesem Herbstabend aufgetischt hatte, war ebenso trüb wie das Wetter vor dem Fenster. Unwirsch schob sie den Teller von sich. Mathias aber hielt den Kopf dicht über dem dampfenden Teller und rührte sich nicht.
»Merkst du nicht, worauf es mir ankommt, Junge? Beweis mir, wie ernst du es meinst, Onkel Eric auf die Finger zu schauen und deinen Mann im Kontor zu stehen! Wenn du schon bei mir nicht für deine Ziele kämpfen kannst, wie willst du es dann drüben in der Fahrgasse tun?« Verärgert reckte sie die Nase nach oben. Ihr Blick ruhte allerdings weiter auf dem blassen Halbwüchsigen am gegenüberliegenden Tischende. Der senkte den Kopf weiter über den Teller.
Ein lautes Pochen gegen die Eingangstür ließ sie aufschrecken. »Besuch?« Sie sah erst zu der gewaltigen Schlaguhr auf dem Wandbord, ein Erinnerungsstück aus Venedig und Vinzents ganzer Stolz, dann wieder zu ihrem Sohn. Auch der wirkte überrascht. An den nahen Kirchtürmen setzte gerade das Abendläuten ein. »Keine angemessene Zeit für einen Besuch«, stellte Adelaide fest und wartete, bis die Schritte der Wirtschafterin im Flur erklangen. Das Knarren der Haustür war gut in der Wohnstube
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