Hexengold
Schuhen und Stiefeln. Das durchweichte Leder verriet, dass sie längere Zeit unterwegs gewesen waren, bevor sie Adelaides Haus aufgesucht hatten. Auf den hilfreichen Einsatz von Patten hatten sie verzichtet, sonst wäre ihr Schuhwerk nicht derart in Mitleidenschaft gezogen.
Statt den Grund ihres Auftauchens zu nennen, meldete sich der Mann mit der Fallkrause mit einer atemlos vorgetragenen Gegenfrage zu Wort: »Ihr seid Adelaide Steinacker, rechtmäßige Ehefrau von Vinzent Steinacker, geboren zu Frankfurt am Main im Jahre unseres Herrn 1618 als erstes und einziges überlebendes Kind der Eheleute Anna Maria und August Wilhelm Steinacker?« Kaum hatte sie durch ein Nicken bejaht, fuhr er fort: »Euer Gemahl wurde vor kurzem Opfer eines furchtbaren Raubüberfalls. Er befand sich auf der Rückkehr aus Italien, wo er wichtige Geschäfte abgeschlossen hatte, als er aus dem Hinterhalt angegriffen wurde.«
»Ihr seid bestens informiert.« Sie rang sich ein Lächeln ab und behielt den Mann mit der Fallkrause fest im Blick. Sein aschblondes Haar war von ersten Silberfäden durchzogen, trotzdem schätzte sie ihn der hellen Stimme wegen noch um einige Jahre jünger als Vinzents Kompagnon Eric. Er mochte höchstens Mitte dreißig sein. Aus Mathias’ Versteck hinter dem Ofen klang ein leises Räuspern. Sie warf einen warnenden Blick hinüber. Noch hatten die Herren seine Anwesenheit nicht bemerkt. Wenn es nach ihr ging, sollte das so bleiben.
»Nach dem bedauerlichen Tod Eures Gemahls führt Ihr seine Geschäfte also allein weiter?«
»Natürlich nicht. Dazu gibt es den langjährigen Kompagnon, Eric Grohnert. Wenn es also um solche Belange geht, muss ich Euch leider bitten, an der Fahrgasse vorzusprechen. Vielen Dank für Euren Besuch.«
Bestimmt schritt sie zur Tür und vollführte mit der Hand eine weit ausholende Bewegung, um die unerwünschten Besucher hinauszubitten. Statt der Aufforderung nachzukommen, wechselten die Herren nicht zu deutende Blicke miteinander. Derjenige mit der engen Kniebundhose ergriff das Wort: »Es geht uns nicht um Geschäfte mit dem Kontor in der Fahrgasse, sondern allein um solche, die Euer verehrter Herr Gemahl auf eigene Rechnung getätigt hat.«
»Was redet Ihr da? Alle Geschäfte meines Gemahls liefen über das Kontor. Wieso sollte er je auf eigene Rechnung gehandelt haben?« Trotz ihrer Verwirrung bemühte sie sich um einen ruhigen Ton.
Der Mann in den engen Kniebundhosen schlug eine hirschlederne Mappe auf, die er unter seinem Rock verborgen gehalten hatte. Vorsichtig zog er ein Konvolut von Schriftstücken heraus und marschierte in weit ausholenden Schritten zum Pult. Die hart beschlagenen Sohlen seiner Stiefel knallten auf dem Dielenboden. Seine aufrechte Haltung verriet, wie sehr er militärisches Gehabe verinnerlicht hatte. »Darf ich?« Ohne auf ihr Einverständnis zu warten, sortierte er die verschiedenen Papiere auf der schrägen Pultauflage.
Nun wurde es Adaleide zu bunt. »Wer, um Himmels willen, seid Ihr?«, brauste sie auf. »Was erdreistet Ihr Euch, derart unverfroren in mein Haus einzudringen und mich auszufragen?«
»Entschuldigt, dass wir uns noch nicht vorgestellt haben.« Der tiefe Bass setzte abermals zu einem übertriebenen Kratzfuß an. »Wir sind Kaufmannsgenossen Eures Gemahls aus Mainz. Gestern erst haben wir von seinem schrecklichen Tod erfahren. Das ist mein verehrter Freund Willibald Gruber.« Er wies mit der ausgestreckten rechten Hand auf den Mann mit der weißen Fallkrause. Der Aschblonde verbeugte sich. »Und das dort«, fuhr er fort und zeigte zum Pult, »ist unser nicht minder geschätzter Freund Hildebrand Castorp.« Der Mann mit den Kniebundhosen und dem militärischen Gehabe verneigte sich ebenfalls. »Meine Wenigkeit trägt den Namen Ludwig Schlüter.« Damit schlug er den Arm vor die Brust und wiederholte ein drittes Mal den Kratzfuß.
Adelaide erwiderte die förmliche Vorstellung mit einem knappen Nicken. »Verratet Ihr mir auch, was Euch zu mir führt?«
Als müsste er das erst nachlesen, trat Schlüter neben Castorp ans Pult und blätterte in den obenauf liegenden Unterlagen. Willibald Gruber mit der üppigen Fallkrause schob sich davor und erklärte von oben herab: »So, wie es aussieht, hat Euer verehrter Gatte eine schwere Schuld hinterlassen, von der er niemandem erzählt hat.«
»Was?« Für einen Moment vergaß Adelaide alles Bemühen um Haltung. Verstört äugte sie zum Ofen, wo sich Mathias halb aufgerichtet hatte. Er wirkte nicht
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