Hexengold
einen neuerlichen Kratzfuß.
Sie schritt um das Pult herum. Während sie den Kopf über die Papiere senkte, breitete sich Stille aus. Außer dem Knacken des Holzes im Ofen war eine Zeitlang nichts zu hören, im restlichen Haus schien jegliches Leben erstarrt. Aufmerksam begann sie, die Unterlagen zu studieren. Bald war sie froh, mit dem rechten Zeigefinger unter den Buchstaben entlangzufahren. Mehr und mehr drohte alles vor ihren Augen zu verschwimmen. Schwindel erfasste sie, pochender Schmerz regte sich hinter der Stirn. Krampfhaft klammerte sie sich mit der linken Hand an das Holz.
»Nun?« Ungeduld schwang in Castorps knapper Frage mit. Gruber hüstelte in die Faust, Schlüter dagegen blieb ruhig.
Adelaide rang nach Luft und schloss die Augen. Das konnte nicht sein. Niemals hatte Vinzent sie derart hintergangen. Dazu war er stets viel zu ungeschickt, hatte ihr nie etwas vormachen, geschweige denn lange verheimlichen können. Trotzdem lagen diese Papiere vor ihr, und die drei Fremden standen neben ihr an seinem Pult. »Es stimmt«, sagte sie schließlich tonlos und öffnete die Lider. Sie zwang sich, einem nach dem anderen direkt in die Augen zu sehen. Den allerletzten Triumph, sie über diese Offenbarung zusammenbrechen zu sehen, durfte sie ihnen nicht auch noch einräumen.
»Ihr erkennt die Unterschrift Eures Mannes auf diesen Schreiben also an?« Castorp klopfte mit dem Zeigefinger auf die Papiere. »Vor zwei Zeugen bestätigt Ihr also, dass das hier eigenhändig von Eurem Gatten Vinzent Steinacker unterzeichnet ist?«
Einen Wimpernschlag lang stutzte Adelaide, sah noch einmal auf das Blatt. Seine Nachfrage musste einen tieferen Grund haben. Also gab es eine Möglichkeit, das Geschehen aufzuhalten, gar zu ihren Gunsten zu wenden. Es fiel ihr jedoch nicht ein, wie die aussehen mochte. Kaum hörbar murmelte sie vor sich hin, fuhr mit den Fingern das Geschriebene ein weiteres Mal nach. Wieder und wieder las sie die quälenden Sätze, in denen sich Vinzent gegen die Auszahlung von zehntausend Gulden zum Schuldner der Herren Hildebrand Castorp, Willibald Gruber und Ludwig Schlüter, ihres Zeichens ehrbare Kaufleute zu Mainz am Rhein, erklärte. Zurückzahlen wollte er die entliehene Summe bis zum 20 . Oktober, andernfalls den oben bezeichneten Herren seinen gesamten Besitz in Frankfurt am Main nebst zugehörigem Inventar und Gesinde sowie sämtlichen sonstigen Besitz als Gegenwert des entliehenen Geldes überlassen. Unterzeichnet von Vinzent Steinacker, Kaufmann daselbst, im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte. Adelaide entfuhr ein tiefer Seufzer. Das rote Siegelwachs war etwas weit in das Schriftfeld verlaufen. Dennoch bestand kein Zweifel, dass es sich sowohl um Vinzents Siegel als auch um seine Handschrift handelte. Die Herren hatten recht: Das Geschäft lief eindeutig auf seinen Namen, nicht auf das mit Eric gemeinsam betriebene Handelskontor.
Gebannt warteten die Männer auf ihre Antwort. Ein letztes Mal war sie versucht, sie ihnen zu verweigern, alles von sich zu weisen. Heiser krächzte sie im nächsten Moment: »Ja, das ist die Unterschrift meines Gemahls. Ebenso erkenne ich sein Siegel.«
Blitzschnell streckte Castorp die Hand aus und riss die Seiten an sich, um sie sogleich wieder in die Ledermappe zu stopfen. Verblüfft starrte sie ihn an. »Überlasst Ihr mir die nicht?« Keiner der Männer erachtete es für notwendig, darauf einzugehen.
»Dann bleibt uns also nichts anderes, als Euch zu bitten, das Anwesen umgehend zu räumen.« Gruber verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Breitbeinig stand er vor ihr und wippte auf den Fußspitzen.
»Eure persönlichen Besitztümer wie Kleidung und dergleichen dürft Ihr natürlich mitnehmen. Der Hausrat allerdings muss bleiben, ebenso das Gesinde. Das habt Ihr dem Schreiben entnommen. Sämtliche Unterlagen über den Handel fallen natürlich auch an uns als die Gläubiger Eures Gatten.« Schlüter lächelte noch immer.
»Wie überaus großzügig von Euch!« Adelaide raffte den Rock, um einen untertänigen Knicks zu vollführen. Da Schlüter wie auch Castorp kaum größer waren als sie, wirkte ihre Geste nicht sonderlich unterwürfig. Gruber dagegen war gut eine Handbreit kleiner. Unsinnigerweise knickste er in diesem Moment ebenfalls unbeholfen wie eine Dienstmagd. »Wie viel Zeit bleibt mir?«, fragte sie tonlos.
»Eine Stunde.« Aus Castorps Mund klang das wie der Befehl eines Rottmeisters an seine Leute, sich zum Abmarsch zu sammeln.
»Dann lasst
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