Hexengold
mich bitte packen.« Unmissverständlich wies sie mit der Hand zur Tür. Verdutzt sahen die drei sie an. Auf so wenig Widerstand waren sie nicht vorbereitet. Adelaide aber wollte ihnen keine Gelegenheit geben, sich noch länger an ihrem Unglück zu weiden. Es war vorbei, also musste sie tun, was getan werden musste. Vielleicht fiel ihr mit einigen Tagen Abstand eine Lösung ein, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden.
Gruber fasste sich und verkündete mit seinem tiefen Bass: »Wohl denn, Verehrteste, wir lassen Euch allein. Draußen wird ein Wagen stehen, der Euch und Eure Habseligkeiten fortbringt. So wie es aussieht, wisst Ihr bereits, wohin Ihr wollt.«
»Dessen könnt Ihr sicher sein.« Sie hatte zu ihrer aufrechten Haltung zurückgefunden. Schwungvoll setzte Gruber sich den Hut auf und zog den Umhang enger um seine Brust. Seine Gefährten folgten seinem Beispiel. So verließen sie das Haus weitaus würdevoller, als sie es vorhin betreten hatten.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, winkte Adelaide Mathias aus seinem Versteck. Blass und mit zitternder Unterlippe stand er vor ihr. »Was haben diese seltsamen Herren damit gemeint, dass Vater dir seine wahre Herkunft verschwiegen hat? Du hast doch bestätigt, dass er der Sohn von Onkel Friedrichs Neffe August Wilhelm war. Was sollte das mit Onkel Eric und dem Hinweis auf das Erbe? Wieso stand Vater in Gefahr, seine bürgerliche Ehre zu verlieren?«
»Ach, das war alles nur Geschwätz. Nichts davon ist wahr«, wiegelte Adelaide ab.
»Hör auf, mich wie ein kleines Kind zu behandeln.« Unerwartet heftig brauste Mathias auf. Seine Augen funkelten vor Zorn, das Gesicht war zu einer bösen Grimasse verzogen. »Ich bin fast erwachsen. Nach Vaters Tod hast du keinen anderen männlichen Beistand als mich.«
»Was fällt dir ein?« Im ersten Moment wollte Adelaide ihm eine kräftige Ohrfeige verpassen. Auf halbem Weg aber ließ sie die erhobene Hand wieder sinken. Gerade noch rechtzeitig hatte sie erkannt, dass Mathias zäher war, als sie ihm vorhin noch zugetraut hatte. Sie schmunzelte. »Du hast recht, mein Sohn. Du bist fast erwachsen. Ich kann also auf dich zählen. Bevor wir aber besprechen, wie das künftig aussehen wird, werden wir jetzt schnellstmöglich unsere Sachen packen und in der Fahrgasse Zuflucht suchen. Mich hält es keine Minute länger als nötig in diesem Gebäude. Du hast gehört: Es ist nicht mehr das Unsere. Ab sofort wirst du ausreichend Gelegenheit haben, dich bei Onkel Eric im Kontor zu bewähren.« Sie legte ihm die rechte Hand auf die Schulter und sah ihn eindringlich an: »Du weißt, was ich in Zukunft von dir erwarte?«
»Auf mich kannst du dich verlassen, Mutter!«
6
Es war ein typischer Novembertag. Der vom Mainufer tief in die Stadt vordringende Nebel verhinderte, dass es an diesem Montagmorgen richtig hell wurde. Milchige Schwaden zogen durch die Straßen, begleitet von feinem Nieselregen und eisigem Wind. Gelegentlich riss der Himmel auf und gewährte einen kurzen Blick darauf, wie weit der Tag schon fortgeschritten war.
Auf der Straße setzte der übliche Trubel ein. Vor der Mehlwaage fuhren die Wagen mit Getreide vor, auf dem angrenzenden Garküchenplatz wurden die Buden geöffnet, an denen eingelegte und gesalzene Heringe sowie Fischwerk zu erstehen waren. Bald würde der Handel beginnen. In den ersten Stunden kamen die Bürgerfrauen und ihre Mägde zur Mehlwaage, danach erst durften die Bäcker und ihre Burschen oder Gesellen ihr Mehl dort erwerben.
Magdalena kannte das Schauspiel zur Genüge. Seit Jahren gehörte es für sie sommers wie winters zum Beginn eines neuen Tages, trotzdem ließ sie es sich selten entgehen. Vom Fenster der Wohnstube aus schaute sie zu, wie ein altes Kräuterweib seinen Platz gleich beim Eingang der Mehlwaage zu behaupten suchte. Jeden Tag scheuchten die Büttel die Alte weg. Auf Anweisung des Rats durften ihre Waren nicht an dieser Stelle feilgeboten werden. Kaum setzten sie ihre Runde Richtung Weckmarkt fort, kroch das Weib aus einem Winkel am gegenüberliegenden Haus und ließ sich erneut an seiner bewährten Ecke nieder. Die frühe Stunde an der Mehlwaage sowie die Nähe zu den viel besuchten Garküchen versprach dem Kräuterweib ein gutes Einkommen. Längst hatte sie eine große Stammkundschaft. Auch Magdalena kaufte ab und an einige Büschel Kräuter bei ihr, hatte allerdings vergeblich versucht, Carlotta für diese Aufgabe zu begeistern. Wann immer sie das Kind zu ihr schicken
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