Hexengold
letzten Jahr hatten ihm ernsthaft zu Leibe rücken können.
Magdalena wurde bang. Eine weitere Gewissheit erfüllte sie: Allzu oft würde ihm das Schicksal nicht mehr hold sein. Eines Tages forderte es auch von ihm seinen Tribut. Die Vorstellung schnürte ihr die Kehle zu.
»Versprich mir, gut auf dich aufzupassen«, krächzte sie und fingerte nach dem Bernstein. »Nie mehr möchte ich ohne dich sein.«
»Das musst du auch nicht.« Überraschend verständnisvoll sah er sie an. Das Eis um ihn herum schien wieder geschmolzen. »Wie oft bin ich schon von dir fort gewesen und bin doch jedes Mal wieder zu dir zurückgekommen. Warum sollte es diesmal anders sein?«
Flüchtig legte er ihr die Hand an die Wange, ließ sie an ihrem Hals entlanggleiten, bis er den Bernstein unter dem Mieder zu fassen bekam. Triumphierend ließ er den honiggelben Stein vor ihrer Nase hin und her pendeln. Sie wollte danach greifen, doch Eric war schneller. Ein Griff genügte, und der im Kerzenlicht glänzende Stein verschwand in seiner Faust. Lächelnd legte er die Lippen darauf und küsste ihn.
»Hast du etwa vergessen, wozu du diesen Stein trägst?« Jugendlicher Übermut blitzte in seinen Augen. »Du selbst hast mir vor bald dreißig Jahren geschworen, dass dieser Stein dir stets hilft, mich zu finden, ganz gleich, wo ich bin.«
»Das heißt aber nicht«, sagte sie in festem Ton, »dass ich dich immerzu suchen will. Pass lieber auf dich auf, Liebster. Dich noch einmal zu verlieren, ertrage ich nicht.«
Die letzten Worte erstickten in Tränen. Eric tätschelte ihr die Schultern. Der Streit von vorhin schien vergessen.
»Du wirst sehen, die Zeit bis zum Sommer ist schneller vorbei, als du glaubst.« Noch einmal drückte er sie und eilte mit großen Schritten hinaus. Nur Magdalenas liebender Blick erkannte, wie angestrengt er sich aufrecht halten musste. Nachdenklich folgte sie ihm in die Diele.
Ehrfürchtig reichte Hedwig ihm gerade den Proviantkorb. Ein betörender Duft nach frischem Gebäck stieg daraus auf. Eric schnappte sich das oberste Brötchen und biss herzhaft hinein. Nach einigem Kauen verzog er das Gesicht und spie Papierreste aus. »Was ist denn das?«, knurrte er, während er das Papier aus den Zähnen pulte. Entsetzt starrte Hedwig ihn an und schlug ein Kreuzzeichen.
»Ein Passauer Zettel«, erklärte Magdalena und zwinkerte der Köchin zu. »Schade, dass du ihn nicht ganz hinuntergeschluckt hast, Liebster. Du weißt doch, dass er nur wirkt, wenn du ihn vollständig aufisst. Oder erinnerst du dich nicht mehr an den Brauch?« Forschend sah sie ihn an. »Im Großen Krieg haben Söldner die Zettel gekauft, um sich vor einem Gefecht oder bei Gefahr zu schützen. Sie kosten ein Vermögen, weil sie mit echtem Fledermausblut geschrieben sind. Dafür ist gesichert, dass der Segensspruch auch hilft.«
»Wenn man daran glaubt«, ergänzte Eric skeptisch. Als er die Enttäuschung auf Hedwigs Gesicht bemerkte, rang er sich ein Lächeln ab. »Danke dir trotzdem für die Fürsorge. Es tut mir leid, es verdorben zu haben. Es war gut von dir gemeint, aber schade für dein mühsam Erspartes. Ich halte nun einmal nichts von solchem Zauber. Um mich vor Unheil zu schützen, vertraue ich lieber auf meine eigene Kraft.«
»So wie im letzten Herbst«, entschlüpfte es Hedwig. Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund. Ihre Wangen glühten. »Verzeiht, Herr!« Zitternd griff sie nach Erics Hand. »Es ist nur die Angst vor dem Unheil, die mich so reden lässt.« Schon machte sie Anstalten, vor ihm auf die Knie zu sinken und die Hände flehentlich emporzurecken. Eric hielt sie an den Ellbogen fest. »Ihr müsst vorsichtig sein, Herr«, beschwor sie ihn mit tränenerstickter Stimme. »Wisst Ihr denn nicht, welchen Tag wir heute haben?«
»Einen Freitag«, antwortete er nun doch etwas ungeduldig. Schon wollte er sich abwenden, doch sie hielt ihn weiterhin fest. »Heute ist der 29 . März, der vierte Tag nach Mariä Verkündigung. Ein Schwendtag, gnädiger Herr, ein verworfener Tag, wie man bei mir zu Hause sagt. Es ist nicht gut, an einem solchen Tag etwas Neues anzufangen. Heute solltet Ihr keinesfalls zu Eurer langen Reise aufbrechen. Das bedeutet nichts anderes, als das Unglück sehenden Auges in Kauf zu nehmen!«
19
Der überraschend zurückgekehrte Winter hielt an. Eine Schneeschicht bedeckte Straßen, Gassen und Häuser. Selbst die Turmspitze von Sankt Bartholomäus trug eine weiße Haube. Gedämpft klangen Schritte und
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