Hexenhammer: Historischer Roman (German Edition)
Boden kauernd halb verfault unter ihren Lumpen hervorschauen ließen. Kaum jemand wagte es dann ohne schlechtes Gewissen an ihnen vorbeizugehen, ohne ihnen nicht wenigstens ein kleines Almosen zuzuwerfen. Aber auch blutgetränkte Erde, Fasern vom Galgenstrick oder Finger- und Zehennägel von Hingerichteten waren beliebt. Das war schon während seiner sechzehn Jahre als Henker in Wetzlar so gewesen und war auch hier genau so. Wer so alles nächtens bei ihm vorbeikam, erstaunte ihn kaum noch. Nun allerdings war so ein Augenblick gewesen, als er neben dem Mann einen Mönch erkannte und ein Mönch war, seit er sich erinnern konnte, noch keiner bei ihm gewesen außer dieser Doktor Isidoris oder Instiroris oder wie auch immer der hieß.
»Was wollt ihr?«, fragte der Henker unwirsch in der nur mit einer Talgkerze notdürftig erhellten Stube.
»Wir möchten Euch einen Handel vorschlagen«, antwortete Cornelius unsicher.
»Soso!«
Während noch Cornelius umständlich herumdruckste, sah sich Niklas neugierig um. Auf dem Tisch stand ein verdreckter Teller mit vertrockneten Breiresten zwischen Messern in verschiedenen Größen, der Rand des Kruges war ausgezackt und das angebissene Brotstück war bereits schimmelig. Aber das alles war es nicht, was ihn anzog. Es war etwas, das bestimmt nicht in dieses Haus passte. Inmitten der Unordnung lag ein dickes Buch.
»Was macht ein Henker mit einem Buch? Er kann doch bestimmt nicht lesen und schreiben!«
Der Scharfrichter hatte seinen Blick bemerkt.
»Verdammte Hexenprozesse!«, knurrte er dann, »nichts als zusätzliche Mehrarbeit, für die man nicht bezahlt wird. An die zwanzig von ihnen habe ich in den letzten eineinhalb Jahren hier hingerichtet. Aber jetzt soll ich die Weiber bei der Ergreifung auf den Karren binden, damit sie keinen Fuß mehr auf den Boden bringen, ihnen die Augen verbinden und den Mund verstopfen. Früher haben sie selbst laufen müssen – aber – ach, ich weiß nicht, wie er heißt, dieser Doktor Insidoris …«
»Heinrich Institoris«, berichtigte Niklas.
»Ja, genau so, er besteht darauf. Auch bei den peinlichen Verhören kommt neues Zeug dazu, das man beachten soll!«
»Und, was macht Ihr mit dem Malleus, ich meine dem Hexenhammer? Versteht Ihr denn, was da drin steht?«
»Das ist es ja. Meine Frau kann zwar ein wenig lesen, aber sie versteht kein Latein. Jetzt hat das Gericht diesen Doktor Isidoris oder wie er heißt zu mir geschickt und er hat übersetzt, was für den Scharfrichter wichtig ist. Da, er hat überall Zettel hinein gesteckt und gesagt, wenn ich es vergessen habe, soll es mir einer der Richter vorlesen!«
Niklas schlug das Buch an einer mit einem Papierblatt markierten Stelle auf.
»1. Abscheren aller Haare, auch an der Scham, den Ohren und den Augenbrauen. 2. Schneiden der Hand- und Fußnägel bis an das Fleisch. 3. Wegnehmen aller Schleier, Bändel und Hauben«, stand da.
»Weswegen seid ihr eigentlich hier?«, knurrte der Henker. »Es ist schon spät in der Nacht und ich muss morgen früh heraus!«
»Wir möchten Euch bestechen!«, lachte Niklas und sah ihn verschmitzt an.
Diebold Hartmann schien nicht richtig gehört zu haben. »Was wollt ihr?«, fragte er nochmals.
»Ihr habt schon recht verstanden«, grinste der Mönch, »wir wollen Euch bestechen!«
»Hinaus! Aber schnell!«, brüllte der Henker dann so laut, dass seine Frau erschrocken die Türe aufriss und wortlos herein starrte.
»Verschwinde!«, schrie er sie an, worauf das Spitzmausgesicht verängstigt verschwand.
»Ihr da – hinaus!«, brüllte er nochmals.
Aber die beiden ließen sich auch von seiner drohenden Haltung nicht beeindrucken. Cornelius war zum Tisch getreten, hatte Messer und Teller ein wenig zur Seite geschoben, holte nun langsam und bedächtig Münze für Münze aus dem Geldbeutel und reihte sie sorgfältig aneinander. Nachdem er drei Reihen fertig hatte, hielt er inne und sah Hartmann an, der nun ebenfalls vor dem Tisch stand und auf das viele Geld stierte.
Niklas gab Cornelius ein Zeichen, der mit einer neuen Reihe begann, in die er zwei Geldstücke legte. Der Henker konnte seinen Blick nicht mehr abwenden. Was da vor ihm lag, war bestimmt mehr, als er im ganzen letzten Jahr verdient hatte. Keiner der Männer sprach ein Wort, nur das schwere Atmen Hartmanns war zu hören.
»Was … was muss ich dafür tun?«, fragte der Henker dann nach einer Weile heiser.
Cornelius öffnete den Beutel und legte noch drei weitere Münzen dazu.
30.
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