Hexenhammer: Historischer Roman (German Edition)
dass sie sofort aus diesem Traum erwachen würde.
Erst als sie der Henker an der Schulter fasste und unsanft zur Türe drängte, wusste sie, dass sie nicht träumte. »Schaut zu, dass Ihr weiterkommt!«
Afra wollte noch fragen, was am Stadttor geschehen würde. Aber sie wurde wortlos hinaus auf den Gang geschoben und der Henker zischte kaum hörbar »Los!«.
Im schwachen Schein der in Eisenringen steckenden Fackeln tappte sie an der Wand entlang nach unten und schlüpfte dann ins Freie, während oben der Scharfrichter laut redete, dazwischen mit der Kette klirrte, die Handschelle verriegelte, danach die Türe krachend zuwarf, deutlich vernehmbar den Schlüssel umdrehte und dann die nächste Zelle aufschloss.
Als der Büttel zurückkehrte, schnauzte er diesen lautstark an, wenn er sage, er könne für eine Viertelstunde auf einen schnellen Schoppen, dann meine er auch eine viertel und keine halbe Stunde. Oben in den Kammern konnten sie zwar kein Wort verstehen, aber die Weiber würden am Morgen die Anwesenheit des Wächters bezeugen, wenn sie als Erste befragt würden. Der Wärter selbst würde schon im eigenen Interesse kein Wort verlauten lassen, dass er während des Dienstes in einer Wirtschaft gewesen war.
Afra war unterdessen zum Osttor unterwegs und musste sich zwingen, nicht einfach loszurennen, sondern einen ruhigen Schritt zu halten. Wenn ihr jemand entgegenkam, wich sie möglichst unauffällig aus und hielt den Kopf gesenkt. Alles hätte sie jetzt gegeben für ihr Kopftuch, aber das hatten sie ihr gleich bei ihrer Einlieferung weggenommen. Erschrocken fuhr sie zusammen, als es hinter einer Hecke raschelte und ängstlich machte sie ein paar schnelle Schritte nach vorne, als sie die Stimme von Cornelius erkannte.
»Afra, hierher!«
Einen Augenblick blieb sie stehen und sah sich suchend um, aber schon fuhr seine Hand aus dem Gebüsch und zog sie nach hinten. Als Cornelius im fahlen Licht des abnehmenden Mondes das Gesicht seiner Frau sah, musste er sich zusammennehmen, um sich sein Erschrecken nicht anmerken zu lassen. Das war nicht die Afra, die er kannte. Ihre Wangen waren hohl und eingefallen, der Blick war nicht mehr strahlend wie ehedem und ihre Gestalt war abgemagert.
»Da, nimm! Zieh dich schnell um, wir haben nicht viel Zeit!«
Cornelius hielt ihr ein frisches Kleid hin, holte aus dem Bündel hastig noch ein paar Strümpfe und Schuhe und als sie ihm das alte, zerlumpte Gewand reichte, um es einzupacken, zerknüllte er es und warf es achtlos hinter eine verfallene Mauer. Mit einem Kamm versuchte sie noch ihre Haare ein wenig zu ordnen, aber diese waren schon zu verfilzt.
»Komm, wir müssen uns beeilen!«, drängte Cornelius.
Kurz vor dem Osttor stand eine riesige Weide, deren dicht belaubte Äste bis zum Boden reichten. Cornelius hielt auf sie zu und als sie nur noch wenige Schritte entfernt waren, kam Leonhard zum Vorschein, woraufhin Afra nochmals zusammenfuhr.
»Bist du bereit?«
Leonhard nickte und klopfte mit der Hand auf den linken unteren Teil seiner Kutte.
»Also«, flüsterte Cornelius seiner Frau zu, »zuerst gehe ich durch das Tor, dann folgst du mir nach und zum Schluss kommt Leonhard.«
Heute früh waren sie auf der Waldlichtung zusammengekommen und Cornelius hatte sie auf etwas aufmerksam gemacht, was außer Afras Vater niemand bedacht hatte.
»Wenn sie Afras Verschwinden bemerken, werden sie sofort an den Stadttoren nachfragen. Damit haben sie wenigstens die ungefähre Fluchtrichtung. Das aber müssen wir verhindern, da sie dann in alle Richtungen suchen müssen. Der neugierigen Nachbarin habe ich schon mehrfach erzählt, dass ich aus Erfurt stamme und wieder nach Hause müsse. Hoffentlich merkt sie sich den Stadtnamen!«
Der Medicus hatte dann vorgeschlagen, den Torwächter ebenfalls wie den Henker zu bestechen.
»Aber wenn er sich nicht bestechen lässt oder das Geld einfach nimmt und uns dann trotzdem verrät?«, hatte Cornelius entgegnet, worauf auch dem Schwiegervater keine Antwort einfiel.
Auf die Lösung war dann Niklas gekommen. Sie war ganz einfach und konnte eigentlich ihre Wirkung nicht verfehlen.
»Wir bedrohen ihn!«, sagte er auf der Lichtung und musste dabei laut lachen, wobei ihn die anderen beiden verwundert ansahen. Als er es ihnen erklärte, konnten auch Cornelius und Leonhard trotz des Ernstes der Lage nicht mehr an sich halten.
Und so geschah es jetzt. Leonhard war ruhigen Schrittes auf das Osttor zugegangen, war dann aber kurz davor stehen
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