Hexenheide
Vater.
»Ich denke, ich geh gleich mal gucken, ob Lenne zu Hause ist.«
Aber Lenne ist schon aus dem Haus, sagt ihre Mutter zu ihm. »Draußen spielen. Vielleicht im Park oder so.«
Karim beschließt, sie zu suchen, obwohl er lieber ganz gemütlich drinnen spielen würde, denn er findet es heute Morgen kalt, auch wenn eine bleiche Herbstsonne am Himmel steht.
Im Park liegen ganze Haufen von abgefallenen Blättern der Pappeln, die rundum stehen, und Karim sieht, dass eine fröhliche Blätterschlacht im Gang ist. Malika ist auch da, ein Mädchen aus seiner Klasse, und ein Junge, den er vom Sehen kennt. Der wohnt auch im Dorf, ist aber schon etwas älter. Karim stürzt sich mitten ins Getümmel.
»He«, ruft Lenne fragend, »machst du auch mit?«
»Das siehst du doch!« Karim wirft eine Handvoll Blätter nach ihr. »Da sind doch hoffentlich keine Hundehäufchen drin, oder?«
»Igitt, bah«, sagt Malika und hört auf der Stelle mit dem Schmeißen auf, »da sagst du was!«
Karim nickt dem Jungen zu. »Hör mal, du bist doch auch auf unsere Schule gegangen, oder?«
»Das ist schon eine Weile her. Ich hab gerade gehört, dass ihr jetzt beim Paul in der Klasse seid. Der ist zwar ein bisschen streng, aber er kennt viele schöne Geschichten. Macht er das immer noch, dass er jedes Mal kurz vor Schulschluss was erzählt?«
»Ja«, sagt Lenne. Sie sieht Karim an. »He, wahrscheinlich weiß der auch alles über die Hexenheide!«
»Die Hexenheide?«, wiederholt Malika. »Was ist das denn schon wieder?«
»Oh, wenn du was über Hexen wissen willst, dann musst du zu meiner Schwester gehen«, sagt der Junge lachend. »Die ist total wild darauf.«
Karim sieht verdutzt aus. Wer ist wild auf Hexen?
»Ach, weißt du«, sagt der Junge, als er Karims Gesichtsausdruck bemerkt, »in der letzten Zeit hat sie plötzlich einen richtigen Knall bekommen. Sie läuft in so einem langen violetten Kleid rum und hat sich die Haare pechschwarz gefärbt. Ich krieg mich bald nicht mehr ein. Also echt, wenn sie wie so eine Art Untote durchs Zimmer schleicht, da lachst du dich kaputt.«
»Aber weiß sie denn auch was über echte Hexen?«, will Karim wissen.
»Echte Hexen gibt’s nicht.« Der Junge grinst.
»Aber ja doch«, sagt Malika. »Ich hab doch grad wieder eine im Fernsehen gesehen.«
Die anderen sehen sie ungläubig an.
»In irgendeinem komischen Programm ist eine Frau aufgetreten, die gesagt hat, dass sie eine Hexe wäre.«
Der Junge macht mit dem Finger kreisende Bewegungen an seiner Schläfe. Die ist nicht ganz dicht, will er damit sagen.
»Ja … na ja … vielleicht war sie nicht ganz bei Trost«, gibt Malika grinsend zu. »Sie hat was mit Kartenlegen oder so gemacht.«
»T arotkarten?«, fragt der Junge. »Damit kann man Prophezeiungen machen. Oder sie sagen einem, was man tun soll.«
Lenne lacht. »Hat sie auch eine Kristallkugel gehabt?«, will sie von Malika wissen.
»Nein, das nicht. Aber lauter seltsame Kreise und Sternzeichen auf dem Boden, mit denen macht sie auch was, aber was das war, weiß ich nicht mehr.«
»Das ist doch alles Blödsinn«, sagt der Junge, »Aber sag das mal lieber nicht meiner Schwester.«
»Hat deine Schwester so ganz lange Haare und lauter Ringe an den Fingern?«, fragt Lenne. Und als der Junge nickt, meint sie: »Ja, dann sehe ich sie manchmal durchs Dorf laufen.«
»Na, wer nicht? Die fällt schon auf. Ich laufe jedenfalls nicht neben ihr her, sonst muss ich mich ja in Grund und Boden schämen, Mann!« Der Junge seufzt. »Ich hoffe nur, dass das schnell wieder vorbeigeht.«
»Ich finde das eigentlich richtig schön«, sagt Lenne nachdenklich, »das Kleid und die schwarzen Haare.« Sie hebt eine ihrer dunkelblonden Strähnen von der Schulter. »Besser als das hier. Ich sehe aus wie eine Maus.«
»Bei uns in der Klasse gibt es ein Mädchen mit blauen Haaren«, erzählt Malika. »Na ja, natürlich gefärbt.«
»Oh, das ist witzig.«
»Ich finde schwarz schöner«, murmelt Lenne noch einmal. »Wer hat sich das eigentlich ausgedacht, dass Hexen schwarze Haare haben müssen?«
»Das kommt von den alten Märchen«, sagt Malika. »In denen sind die Hexen bucklig, hässlich und haben eine Hakennase. Und sie haben lange schwarze Haare.«
»Und richtig grüne Augen«, ergänzt der Junge grinsend. »V ergiss die giftgrünen Augen nicht.«
Karim verschluckt sich und bekommt prompt einen scheußlichen Hustenanfall.
»Gehen wir noch mal zu mir?«, fragt Lenne, als der Junge und auch
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